Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Zulässigkeit der Fremdanamnese über einen kommunikationsgestörten Patienten im ärztlichen Notdienst
Orientierungssatz
Im ärztlichen Notdienst ist die Erhebung der Fremdanamnese über einen kommunikationsgestörten Patienten nach Nr 19 EBM-Ä nicht berechnungsfähig (vgl BSG vom 5.2.2003 - B 6 KA 11/02 R = SozR 4-5533 Nr 19 Nr 1).
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Abrechenbarkeit von Leistungen nach Nr. 19 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä; Erhebung der Fremdanamnese) im organisierten ärztlichen Notdienst in den Quartalen II und III/2003.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung und am organisierten ärztlichen Notdienst im Zuständigkeitsbereich der Beklagten teil.
Für das Quartal II/2003 berechnete er in 95 Fällen im Rahmen des organisierten Notdienstes Leistungen nach Nr. 19 EBM-Ä. Mit Bescheid vom 12. Januar 2004 strich die Beklagte im Rahmen der sachlich-rechnerischen Berichtigung diese Leistungen, weil sie im organisierten Notdienst nicht abrechenbar seien. In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren forderte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 24. März 2004 auf, sich in jedem Einzelfall dazu zu äußern, ob die Erhebung der Fremdanamnese tatsächlichen durch krankheitsbedingte Kommunikationsstörungen oder durch sprachliche oder altersbedingte Verständigungsschwierigkeiten erforderlich gewesen sei.
Im Quartal III/2003 berechnete der Kläger im organisierten Notdienst in 60 Fällen Leistungen nach Nr. 19 EBM-Ä, die die Beklagte mit Bescheid vom 24. März 2004 ebenfalls strich. Die Widersprüche gegen beide Bescheide wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2004 zurück.
Gegen den ihm am 1. Oktober 2004 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 28. Oktober 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main erhoben und u. a. vorgetragen, er habe Leistungen nach Nr. 19 EBM-Ä nur in Fällen krankheitsbedingter Kommunikationsstörung abgerechnet, wie den Diagnosen auf den einzelnen Notfallscheinen zu entnehmen sei. Notärztlichen Maßnahmen erforderten gegebenenfalls die Erhebung einer Fremdanamnese und seien mit dem Notarztwagen Dienst nicht vergleichbar, der auf medizinische Erstversorgung und Herstellung der Transportfähigkeit beschränkt sei. Auch werde die Fremdanamnese im ärztlichen Notdienst nur von Personen mit einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Patienten erhoben und nicht von zufällig anwesenden Passanten, wie beim Notarztwagen Dienst.
Mit Urteil vom 28. Juni 2006 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen und sich hierbei im wesentlichen auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 5. Februar 2003 (B 6 KA 11/02 R) gestützt, wonach die systematische Interpretation der Nr. 19 EBM-Ä ergäbe, dass damit der Mehraufwand abgegolten werden solle, der dem Arzt entstehe, der einen Patienten kontinuierlich begleite und betreue, der wegen einer - regelmäßig dauerhaften - erheblichen Kommunikationsstörung über sein Befinden und eventuelle Veränderungen in seinem Gesundheitszustand selbst keine Angaben machen könne. Im ärztlichen Notfall- und Bereitschaftsdienst fehle es aber typischerweise an der kontinuierlichen Begleitung und Betreuung des Patienten. Im Rahmen dieses Dienstes könne keine "normale" ärztliche Versorgung erwartet werden. In der Regel sei lediglich eine vorläufige Versorgung bis zum Einsetzen der normalen ärztlichen Versorgung zu gewährleisten.
Gegen das ihm am 27. September 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. September 2006 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Das als zusätzliche Leistungsvoraussetzung aufgestellte Merkmal der "kontinuierlichen Begleitung und Betreuung" unterlaufe die Regelungen in der Präambel des EBM-Ä, wonach nur in die Leistungen nach Nr. 12, 14, 15, 16 und 20 im Rahmen des ärztlichen Notfalldienstes nicht berechnungsfähig seien (Abschnitt B. II. vor Ziff. 1.). Die Entscheidung des BSG vom 5. Februar 2003 sei auf den ärztlichen Notdienst nicht übertragbar, weil im Gegensatz zum Notwagen Dienst die volle ärztliche Versorgung zu gewährleisten sei, was eine optimale Information über den Zustand des kommunikationsgestörten Patienten voraussetzte. Insoweit sei die Situation eher mit der der Anästhesisten vergleichbar, die nach dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 2006 (L 4 KA 24/05) ebenfalls berechtigt seien, die Erhebung der Fremdanamnese nach Nr. 19 EBM-Ä abzurechnen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 28. Juni 2006 und die Bescheide der Beklagten vom 12. Januar 2004 und 24. März 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. September 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Leistungen nach Nr. 19 EBM-Ä zu vergüten, soweit die Ursachen der Kommunikationsstörungen nach Nr. 19 EBM-Ä gegeben sind.
Der Beklagte beantr...