Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe in anderen Lebenslagen. Bestattungskosten. Zumutbarkeit der Kostentragung durch den Heimträger, der gleichzeitig überörtlicher Sozialhilfeträger ist. Anspruch der juristischen Person des Öffentlichen Rechts auf Übernahme bzw Erstattung der Bestattungskosten. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Einem Heimträger, der zugleich überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist, ist die Tragung von Bestattungskosten einer mittellosen Person jedenfalls dann grundsätzlich zumutbar, wenn die verstorbene Person fast 45 Jahre in seiner Einrichtung verbracht hat.
2. Zum Anspruch einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 15 BSHG bzw § 74 SGB 12.
Orientierungssatz
1. Der Anspruch aus § 15 BSHG wird nicht durch die Erstattungsregelungen der §§ 102ff SGB 10 verdrängt.
2. Es existiert kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Antragstellung binnen angemessener Frist. Die Berücksichtigung des Zeitablaufs (hier 19 Monate) folgt auch nicht bereits aus der Anwendung des Verwirkungsgedankens über § 242 BGB analog. Ob der Kostenverpflichtete die Erstattung zeitnah geltend macht, ist aber ein im Rahmen der Gesamtabwägung der Zumutbarkeitsprüfung zu berücksichtigender und zu gewichtender Umstand. Wird die Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt, sind regelmäßig Zweifel an der Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben in beiden Instanzen einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger beansprucht im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft die Übernahme von Bestattungskosten durch den örtlichen Sozialhilfeträger.
Im “Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit seelischer Behinderung des Zentrums für soziale Psychiatrie MG.„ in R-Stadt verstarb am 4. Oktober 2002 die am xx. xxx 1909 geborene OL., die bis 1957 im Gebiet der Beklagten zuletzt von fürsorgerechtlichen Leistungen der Beklagten lebte und danach durchgängig in psychiatrischen Krankenhäusern und Pflegeheimen des Klägers untergebracht war.
Der Kläger veranlasste die Beerdigung, wodurch Kosten in Höhe von 1.556,07 € anfielen.
Der Kläger betrieb das genannte Heim seinerzeit als Eigenbetrieb. Am 10. Juli 2007 wurde der Eigenbetrieb aus dem Vermögen des Klägers in eine neu gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung “Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH„ ausgegliedert. Nach dem ebenfalls am 10. Juli 2007 notariell beurkundeten Spaltungsplan wurden u. a. alle dem Eigenbetrieb wirtschaftlich zuzuordnenden Forderungen, Rechte und sonstige Vertragsverhältnisse ausgegliedert. Ursprünglich war der Kläger Alleingesellschafter. Später übertrug der Kläger seine Anteile auf Holding-Gesellschaften, aktuell die “S. GmbH (Holding)„, deren Gesellschafter wiederum der Kläger ist. Das Heim wird nunmehr von der “S. gGmbH„ betrieben, wobei es sich nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers um eine Umfirmierung der “Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH„ handelt.
Mit Schreiben vom 18. Mai 2004 und 24. September 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage von Rechnungen die Erstattung der verauslagten Kosten.
Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. März 2005 ab. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ausgeführt, dass die Kostenerstattung nicht in angemessener Frist beantragt worden sei. Die Rechnungen für die Bestattung seien vom Kläger am 31. Oktober 2002 angewiesen worden, nunmehr werde fast ein Jahr und sieben Monate später die Kostenübernahme beantragt.
Hiergegen legte der Kläger am 14. März 2005 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass sich der Anspruch aus § 15 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. § 74 SGB XII ergebe. Dieser Anspruch müsse nicht innerhalb einer angemessenen Frist beantragt werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beklagte vertiefte ihre Begründung zu § 25 SGB XII. Auch nach § 18 SGB XII sei die rechtzeitige Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe über die Voraussetzungen der Leistung erforderlich.
Am 24. Mai 2006 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht in Wiesbaden erhoben. Mit Beschluss vom 21. November 2006 ist der Rechtsstreit an das Sozialgericht Kassel verwiesen worden.
Der Kläger hat die Rechtsansicht vertreten, dass § 5 BSHG bzw. § 18 SGB XII nicht anwendbar seien. Der Kläger sei daher nicht zu einer früheren Antragstellung verpflichtet gewesen. Der Anspruch sei auch nicht verwirkt. Es lägen keine die Verwirkung auslösenden Umstände vor, denn die Beklagte habe nicht in Folge eines bestimmten Verhaltens des Klägers darauf vertrauen können, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde. Die Untätigkeit des Klägers habe allein darauf beruht, dass die hier maßgebliche Rec...