Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Aufenthaltsrecht für Familienangehörige nach § 3 Abs 1 FreizügG/EU 2004. Aufenthaltsrecht zur Fortsetzung einer Ausbildung nach Art 10 EUV 492/2011. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für dem Grunde nach Leistungsberechtigte nach dem SGB 2. Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12. Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12
Leitsatz (amtlich)
1. Konnte ein Familienangehöriger zu keinem Zeitpunkt seit seiner Einreise in den Mitgliedsstaat ein Aufenthaltsrecht von dem freizügigkeitsberechtigten Arbeitnehmer ableiten, kann er sich auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zur Fortsetzung einer Ausbildung aus Art 10 der VO (EU) Nr 492/2011 (juris: EUV 492/2011) nicht berufen.
2. Ein Nachziehen iS von § 3 Abs 1 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) liegt nicht vor, wenn ein familiäres Zusammenleben mit dem Familienangehörigen nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht bestanden hat und auch nicht geplant war.
3. Eine regelhafte Ermessensreduzierung auf Null nach Ablauf eines sechsmonatigen Aufenthalts im Rahmen des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII findet nicht statt (entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 48, vom 20.1.2016 - B 14 AS 15/15 R, vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R und vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R).
Tenor
Auf die Beschwerde des Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 21. April 2016 aufgehoben, soweit der Beigeladene im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet wurde, den Antragstellern für den Zeitraum ab Antragstellung am 11. März bis zum 30. Juni 2016 vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 891 Euro zu gewähren.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird auch insoweit abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) streitig.
Die 1976 geborene Antragstellerin zu 1. reiste u.a. mit ihren beiden 2006 und 2011 geborenen Söhnen, den Antragstellern zu 2. und 3. im Juli 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebt seitdem mit den Kindern in A-Stadt. Für die angemietete Wohnung müssen die Antragsteller 320 Euro Nettokaltmiete zuzüglich 160 Euro für Neben- und Heizkosten monatlich zahlen. Seit dem 16. September 2015 besucht der Antragsteller zu 2. eine Grundschule in A-Stadt. Die Antragstellerin zu 1. ist zu keinem Zeitpunkt nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik einer Beschäftigung nachgegangen.
Alle Antragsteller haben die polnische Staatsbürgerschaft. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1., der auch der Vater der Antragsteller zu 2. und 3. ist, lebt bereits seit ca. zwei Jahren in E-Stadt in Nordrhein-Westfalen und geht nach Angaben der Antragsteller einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Die Antragstellerin zu 1. hatte sich von ihrem Ehemann bereits vor der Einreise nach Deutschland getrennt, ein gemeinsames Zusammenleben war zu keinem Zeitpunkt geplant. Der Vater der Antragsteller zu 2. und 3. gewährt diesen einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 500 Euro. Darüber hinaus trugen die Antragsteller vor, dass der Vater seine Söhne in A-Stadt einmal besucht habe und die Antragsteller zu 2. und 3. einmal in E-Stadt gewesen seien.
Am 21. Dezember 2015 beantragten die Antragsteller beim Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Am 11. März 2016 beantragten sie beim Sozialgericht Gießen den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 5. April 2016 hat das Sozialgericht den Lahn-Dill-Kreis als Träger der Leistungen nach dem SGB XII gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen. Durch Beschluss vom 21. April 2016 verpflichtete das Sozialgericht sodann den Beigeladenen im Wege der einstweiligen Anordnung, den Antragstellern für den Zeitraum 11. März bis 30. Juni 2016 vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 891 Euro zu gewähren. Im Übrigen lehnte es den Antrag ab und verwies auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2015 (B 4 AS 44/15 R).
Gegen den Beschluss legte der Beigeladene am 18. Mai 2016 beim Sozialgericht Beschwerde ein. Zur Begründung verwies er auf Zweifel an der bestehenden Bedürftigkeit der Antragsteller im Hinblick auf mögliche Ansprüche auf Unterhalt und einen bisher nicht realisierten Kindergeldanspruch sowie deren vorrangigen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Von der Leistungsgewährung nach dem SGB XII seien die Antragsteller nach §§ 21 und 23 Abs. 3 SGB XII ausgeschlossen.
Der Beigeladene beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 21. April 2016 aufzuheben, soweit de...