Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsanspruch. Leistungsträger. Nachrangigkeit. Vorrangigkeit. rechtmäßige Leistung
Orientierungssatz
1. Zur Einbehaltung von Verletztenrentennachzahlungen (hier: wegen Neufeststellung gemäß § 573 Abs 1 RVO) wegen Befriedigung von Erstattungsansprüchen gemäß § 104 Abs 1 SGB 10.
2. Eine in Ausführung einer einstweiligen Anordnung vorläufig erbrachte Sozialleistung (hier: Arbeitslosenhilfe) rechtfertigt es nicht, diese als materiell rechtmäßige Leistung iS von § 104 Abs 1 S 1 SGB 10 anzusehen.
3. Ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs 1 S 1 SGB 10 wegen geleisteten Wohngeldes (hier: bis 1987) scheidet aus, da ein Verhältnis der Vor- und Nachrangigkeit zwischen den Leitungen Verletztenrente und Wohngeld nach den materiell-rechtlichen Regelungen des WoGG idF vom 27.12.1982 und deren Systematik nicht festzustellen ist.
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 18.03.1993; Aktenzeichen S-10/U-553/88) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 18. März 1993 sowie der Bescheid der Beklagten vom 27. November 1987 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger von der einbehaltenen Rentennachzahlung einen weiteren Betrag von 22.255,07 DM auszuzahlen. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Auszahlung von Rentennachzahlungsbeträgen in Höhe von insgesamt 32.991,40 DM, die die Beklagte zur Befriedigung von Erstattungsansprüchen der Beigeladenen einbehalten hat.
Der im Jahre 1954 geborene Kläger erlitt am 2. April 1965 einen schweren Arbeitsunfall mit Schädel-Hirn-Verletzung. Die Beklagte zahlte ihm deswegen zunächst eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 v.H., die sie mit Bescheid vom 12. April 1984 rückwirkend ab dem 1. Januar 1979 auf 80 v.H. erhöhte. Aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs (Az.: S-4/U - 260/84) stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Oktober 1987 gemäß § 573 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) den Jahresarbeitsverdienst (JAV) rückwirkend unter Zugrundelegung der Bezüge eines Studienrats z.A. im hessischen Landesdienst (Besoldungsgruppe A 13) ab dem 1. Dezember 1982 neu fest. Für die Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 30. November 1987 errechnete sie einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 84.060,50 DM und abzüglich bereits an den Kläger gezahlter Vorschüsse von insgesamt 20.000,- DM einen Nachzahlungsbetrag von 64.060,50 DM. Sie teilte dem Kläger mit, daß der Nachzahlungsbetrag zunächst einbehalten werde bis feststehe, welche Ersatzansprüche vom Arbeitsamt F. M. und der Stadt D. wegen Arbeitslosenhilfe (Alhi) und Wohngeld gestellt würden.
Mit am 12. November 1987 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 10. November 1987 machte die Beigeladene zu 1) für Juni 1983 sowie die Monate April 1984 bis November 1987 unter Vorlage einer Aufstellung über die an den Kläger in Form des Lastenzuschusses monatlich geleisteten Wohngeldzahlungen gemäß § 104 Sozialgesetzbuch (SGB) 10 einen Erstattungsanspruch von insgesamt 5.296,- DM geltend. Einen gegenüber dem Kläger für denselben Zeitraum erlassenen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid (§§ 48 Abs. 1 Nr. 3, 50 SGB 10) vom 16. November 1987 nahm die Beigeladene zu 1) mit Bescheid vom 23. November 1988 wieder zurück, weil die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 bis 4 Wohngeldgesetz (WoGG) nicht vorlagen. Die Beigeladene zu 2) meldete mit am 26. November 1987 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 25. November 1987 einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 SGB 10 wegen der dem Kläger im Anschluß an den Bezug von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 31. März 1984 und vom 2. Oktober 1984 bis 25. November 1987 gezahlten Alhi in Höhe von 27.695,40 DM an. Bei der Berechnung der dem Kläger erbrachten Leistungen hatte die Beigeladene zu 2) den Betrag der Verletztenrente nicht als Einkommen berücksichtigt, der bei gleicher MdE (80 v.H.) als Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu gewähren gewesen wäre (§ 11 Nr. 4 Arbeitslosenhilfe-Verordnung). Für die Zeit vom 2. Oktober 1984 bis 25. November 1987 hatte sie die Alhi-Leistung in Ausführung einer einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Frankfurt am Main (SG) vom 28. September 1984 (S-14/Ar - 483/84 A) vorläufig erbracht, nachdem sie ihre Bewilligung von Alhi mit Bescheiden vom 12. April 1984 und 16. April 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1984 wegen Aufnahme eines Vollzeitstudiums durch den Kläger unter Hinweis auf die fehlende Verfügbarkeit bzw. § 118 a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) a.F. aufgehoben hatte. Demgegenüber hatte das Gericht Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 118 a AFG geäußert.
Mit Auszahlungsanordnung vom 27. November 1987 überwies die Beklagte dem Kläger als...