2.1 Übermittlung zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen (Abs. 1)
Rz. 4
Abs. 1 lässt die Datenübermittlung nur zu, sofern es um die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche von mindestens 500,00 EUR geht.
Öffentlich-rechtlich sind solche Ansprüche, die sich aus dem Verhältnis zwischen Bürger und Staat ergeben. Eine öffentlich-rechtliche Geldforderung muss ihre Rechtsgrundlage im öffentlichen Recht haben, z. B. Steuern, Beiträge, Gebühren, Gemeindeabgaben.
Privatrechtliche Forderungen öffentlicher Stellen, z. B. Miet- und Pachtschulden, lassen keine Übermittlung nach Abs. 1 zu.
2.1.1 Datenempfänger
Rz. 5
§ 74a Abs. 1 enthält – anders als Abs. 2 – keine benannten Adressaten, d. h. er begrenzt die Datenübermittlung nicht durch Aufzählung von Datenempfängern, sondern allein durch die Art der Forderung.
Im Ergebnis ist damit eine Übermittlung auch an beauftragte nicht-öffentliche Stellen zulässig, sofern es sich um die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche von mindestens 500,00 EUR handelt (Rz. 3).
2.1.2 Übermittlungsumfang
Rz. 6
Der Umfang der zulässig zu übermittelnden Sozialdaten ist abschließend in Satz 1 aufgezählt. Es soll sich auch um nicht mehr als Grundinformationen für die ersuchende Stelle handeln. Übermittelt werden dürfen nur Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, derzeitige Anschrift der betroffenen Person, ihr derzeitiger oder zukünftiger Aufenthalt und Namen, Vornamen oder Firma und Anschriften ihrer derzeitigen Arbeitgeber.
Mit den Angaben zum derzeitigen und künftigen Aufenthaltder betroffenen Person wurde klargestellt, dass die in § 35 SGB I genannten Stellen die Herausgabe von Informationen über einen möglichen künftigen Aufenthaltsort eines Gesuchten vornehmen dürfen. Infrage kommen hier insbesondere Erkenntnisse über beabsichtigte Besuche bei den Leistungsträgern, z. B. in den Beratungsstellen oder geplante Rehabilitations- und Krankenhausaufenthalte.
Rz. 7
Von der Übermittlung ausgeschlossen sind Angaben zu Beschäftigungszeiträumen oder Hinweise auf einen Leistungsbezug oder eine Leistungshöhe. Das gilt ebenso für die so genannte Negativauskunft, also z. B. den Hinweis, dass die betroffene Person keine Rente bezieht.
2.1.3 Schutzwürdige Interessen der betroffenen Person
Rz. 8
Es dürfen keine schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person durch die Datenübermittlung beeinträchtigt werden, d. h., es darf kein Grund zu einer solchen Annahme bestehen. Der Begriff der Interessen ist nicht im Gesetz definiert. Er kann sowohl ideelle als auch wirtschaftliche Güter umfassen. Die Interessen sind schutzwürdig, wenn sie als Rechtsgüter oder als schlichte Interessen nach der Rechtsordnung oder auch nur nach der gesellschaftlichen Werteordnung staatlichen Schutz verdienen. Beispielhaft erwähnt sei hier der schutzwürdige Umstand, dass als aktuelle Anschrift oder als derzeitiger oder zukünftiger Aufenthaltsort eine psychiatrische Einrichtung angegeben werden müsste. Beeinträchtigungen liegen insbesondere immer dann vor, wenn die Übermittlung von Sozialdaten zu rassischen, religiösen oder politischen Diskriminierungen führen könnte.
Rz. 9
Anmerkung: Kritisch zu sehen und daher einer besonderen Abwägung bedarf es, wenn ausschließlich finanzielle Interessen der betroffenen Person durch eine Datenübermittlung beeinträchtigt werden könnten. Insbesondere wenn es um die Durchsetzung von offenen Forderungen geht, wird die Abwägung regelmäßig zugunsten einer Datenübermittlung ausfallen können, da ansonsten die ausdrücklich vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit einer Datenübermittlung für diese Zwecke ins Leere liefe.
2.1.4 6-Monats-Frist
Rz. 10
Das Auskunftsersuchen darf nicht länger als 6 Monate zurückliegen, ansonsten ist eine Übermittlung nach § 74a nicht zulässig. Lange Bearbeitungszeiten bei den Stellen nach § 35 SGB I dürfen jedoch nicht dazu führen, dass Ersuchen unter Hinweis auf die 6-Monatsfrist abgelehnt werden.
2.1.5 Einzelfallbezogenheit
Rz. 11
Die Übermittlung setzt ein Ersuche1im Einzelfall voraus. Dies schließt nicht aus, dass in einem Auskunftsersuchen ausnahmsweise auch nach mehreren betroffenen Personen gefragt wird; listenmäßige Abfragen oder Rasterfahndungen sind grundsätzlich nicht über § 74a zulässig. Für Rasterfahndungen gilt allein § 68 Abs. 3 SGB X (vgl. Komm. zu § 68).
2.1.6 Beschaffung der Daten auf andere Art und Weise
Rz. 12
§ 74a Abs. 1 geht im Interesse des Sozialdatenschutzes über § 4 Abs. 3 hinaus. Nach Abs. 1 Satz 2 hat sich die ersuchende Stelle zunächst zu bemühen, die von ihr benötigten Daten auf andere Weise zu beschaffen, d. h. woanders als bei der Stelle nach § 35 SGB I. Die ersuchende Stelle hat darzulegen, dass sie die Datenbeschaffung bereits anderweitig und erfolglos versucht hat.
Nicht erforderlich ist, dass die ersuchende Behörde im Detail ausführt, wo genau sie vorab versucht hat, die Daten zu erheben. Der Hinweis, dass eine vorrangig woanders durchgeführte Datenerhebung erfolglos geblieben ist, ist ausreichend. Die ersuchende Behörde trägt die Verantwortung für die Richtigkeit der Angaben in ihrem Ersuchen (§ 67d Abs. 1 Satz 2). Der Gesetzgeber wollte insbesondere verhindern, dass den Stellen nach § 35 SGB I die Funktion einer Ersatzmeldebehörde zugewiesen wird (BT-Drs. 8/4022 S. 84 zu § 68 SGB X i. d. F. bis 31.12.2012).
Rz....