Rz. 3
Teilhabeleistungen des Rentenversicherungsträgers sollen dem rehabilitationsbedürftigen Versicherten grundsätzlich nur zugutekommen, wenn die Erwerbsfähigkeit (Rz. 4 ff.) des Versicherten bedroht oder bereits beeinträchtigt ist. Sie sind i. S. der gesetzlichen Rentenversicherung nur dann sinnvoll, wenn die Erwerbsfähigkeit
- bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit (Rz. 9) auf Dauer erhalten bleiben kann oder
- bei bereits geminderter Erwerbsfähigkeit (Rz. 10) wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder durch die Teilhabeleistungen eine wesentliche Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit abgewendet werden kann oder
- trotz teilweiser Erwerbsminderung und trotz negativer beruflicher Zukunftsprognose der Arbeitsplatz erhalten bleiben oder ein anderer in Aussicht stehender Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Rz. 10a ff.) erlangt werden kann.
Die Rentenversicherungsträger haben in den „Auslegungsgrundsätzen zu den persönlichen und versicherungsrechtlichen Leistungen zur Teilhabe und zur Mitwirkung der Versicherten i. d. F. v. 18.7.2002 die unterschiedlichen Begriffe
- "Krankheit", "Behinderung", "Erwerbsfähigkeit",
- "Erhebliche Gefährdung" der Erwerbsfähigkeit,
- "Minderung" der Erwerbsfähigkeit,
- "Wesentliche Besserung",
- "Wiederherstellung" der Erwerbsfähigkeit,
- Abwendung einer "wesentlichen Verschlechterung",
- "voraussichtlich",
- "absehbare Zeit",
- "wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre" und
- "Mitwirkung"
definiert. Der Wortlaut dieser Auslegungsgrundsätze kann der Komm. zu § 9 entnommen werden.
Rz. 3a
Die Beurteilung der entsprechenden Merkmale ist prospektiv (= auf die Zukunft gerichtet, die weitere Entwicklung betreffend) zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Rehabilitationsantrag zu treffen. Ist zwischen 2 Rehabilitationsträgern (z. B. Krankenkasse und Rentenversicherungsträger) strittig, ob die Merkmale zum Zeitpunkt der Beurteilung richtig beurteilt wurden (z. B. in Frage gestellte fehlende Erwerbsminderung), ist auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der ursprünglichen Entscheidung abzustellen. Ist die Teilhabeleistung bereits abgeschlossen, kann der Entlassungsbericht etc. eine Hilfe sein, ob zum damaligen Entscheidungszeitpunkt die Verhältnisse richtig erkannt und bewertet wurden. Hinsichtlich der Definition des Erfolgs von Teilhabeleistungen wird auf Rz. 12 ff. verwiesen.
Rz. 3b
Die Feststellung, dass eine Behinderung bereits bei Eintritt in das Erwerbsleben bzw. vor Beginn der Beitragsleistung zur Rentenversicherung bestand, rechtfertigt allein nicht die Ablehnung eines Antrags auf Teilhabeleistungen. Solange die Erwerbsfähigkeit wieder hergestellt bzw. eine Arbeitsbelastung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von mindestens 3 Stunden je Arbeitstag erreicht werden kann, ist die vorrangige Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers gegeben. Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn ein voll erwerbsgeminderter Mensch, der in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig ist, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation beim Rentenversicherungsträger beantragt. Dieses hat das BSG mit Urteil v. 16.6.2015 (B 13 R 12/14 R) entschieden. In der Urteilsbegründung heißt es sinngemäß:
Die Wiederherstellung der Werkstattfähigkeit voll erwerbsgeminderter Menschen, die in einer WfbM tätig sind, ist mittelbare Folge des primären Ziels der Beseitigung von Krankheitsfolgen und deshalb von dem Reha-Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Der Anspruch hierauf richtet sich nicht gegen den Träger der Rentenversicherung. Der Grund: Die Zuständigkeitsaufteilung zwischen Trägern der Renten- und Krankenversicherung ist mit Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar und stellt auch keine Diskriminierung behinderter Menschen dar, die Art. 5 Abs. 2 UN-BRK verhindern will. Mit seinen Vorschriften über medizinische Reha-Leistungen erfüllt Deutschland wesentliche Verpflichtungen, die es mit der Ratifizierung der UN-BRK eingegangen ist, und verhindert damit gerade eine Diskriminierung behinderter Menschen. Denn auch voll erwerbsgeminderte behinderte Menschen, die lediglich über ein für Tätigkeiten in einer WfbM, nicht jedoch für den allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichendes Restleistungsvermögen verfügen, werden in die Versicherungspflicht der Renten- und Krankenversicherung einbezogen. Diese Systeme gehen im Grundsatz davon aus, dass die Versicherten durch versicherte Arbeitsentgelte, die sie auf dem regulären Arbeitsmarkt erzielen, Vorsorge für den Fall der Krankheit treffen und eine Altersvorsorge aufbauen können. Obwohl dies bei von Anfang an voll erwerbsgeminderten behinderten Menschen nicht der Fall ist, sollen sie durch eine mindestens 20-jährige Tätigkeit in einer WfbM in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Rentenanspruch und damit eine bedürftigkeitsunabhängige Altersvorsorge aufbauen können. Dies dient in hohem Maße der finanziellen Unabhängigkeit und Selbstständigkeit behinderter Menschen. Diese rentenrechtliche Besonderheit wirkt nicht auf Le...