Rz. 31
Auch die Belastungserprobung und Arbeitstherapie zählen zu den Leistungen der medizinischen Rehabilitation i. S. d. § 15 (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX).
Die Arbeitstherapie ist eine besondere Form der Ergotherapie (Heilmittel i. S. d. § 32 SGB V) und kommt z. B. nach schweren Unfallverletzungen, bei mehrfachbehinderten Menschen und bei stark psychisch Erkrankten in Betracht – und zwar dann, wenn das körperliche, psychische und intellektuelle Leistungsvermögen so gravierend gestört ist, dass eine berufliche Wiedereingliederung noch nicht möglich ist. Mit gezielten medizinischen, psychologischen und berufspädagogischen Arbeitsverfahren sollen die körperliche und geistige Belastbarkeit des Betroffenen mit dem Ziel gesteigert werden, die beruflichen Eingliederungschancen zu verbessern bzw. zu stabilisieren. In der Praxis kann die Arbeitstherapie zwischen wenigen Wochen und mehr als einem Jahr dauern.
Im Gegensatz zur Ergotherapie der Krankenversicherung (Beschäftigungstherapie) ist die Arbeitstherapie auf die berufliche Tätigkeit am Arbeitsplatz ausgerichtet. Bei der Arbeitstherapie sollen mithilfe von berufsrealistischen Arbeiten (Arbeit als Therapie/Leistungstraining) Fertigkeiten trainiert werden, die der Versicherte zur Ausübung seiner Tätigkeit am Arbeitsplatz benötigt. Dieses ist allerdings erst dann sinnvoll, wenn die für den nicht beruflichen Alltag erforderlichen Grundfertigkeiten erreicht wurden. Solange handelt es sich um eine Ergotherapie (§ 32 SGB V) zulasten der Krankenkasse (vgl. auch BSG, Urteil v. 13.9.2011, B 1 KR 25/10 R). Das durch die Ergotherapie anzustrebende "Beschäftigungsniveau" (Heranführung an die für den nicht beruflichen Alltag notwendigen Fertigkeiten) liegt meist deutlich unter dem Niveau, das mit der Arbeitstherapie angestrebt wird.
Zentrales Element der Arbeitstherapie i. S. d. § 15 SGB VI i. V. m. § 47 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX ist die Arbeitsleistung. Ziel der Arbeitstherapie ist die Verbesserung der Belastbarkeit und die Erhaltung und Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die berufliche Wiedereingliederung benötigt werden. Wichtige Faktoren dieses Leistungstrainings sind Arbeitsqualität und Arbeitstempo. Gefördert werden insbesondere die Belastbarkeit und Konzentration, die Anpassungs- und Ausdauerfähigkeit, die Teamfähigkeit, die Gewöhnung an feste Zeitstrukturen und das Erfassen von komplexen Arbeitsschritten.
Konkret verrichtet der Patient entweder in Einzeltherapie oder in der Gruppe Industriearbeiten (Verpackungs-, Sortier-, Montage- und Zuschneidearbeiten usw.), Büroarbeiten (Schreibtraining an Maschine und PC, Dateneingabe am PC, Eigenproduktionen am PC wie z. B. Kochbücher, Kuvertierarbeiten) und handwerkliche Arbeiten (Buchbinderarbeiten, Arbeiten mit Holz, Weben und Nähen, Produktherstellung mit Ton). Der Schwierigkeitsgrad wird stufenweise gesteigert von einfachen Betätigungen ohne besondere Anforderung an Selbstständigkeit und Aufmerksamkeit bis zur sog. Entlassungsstufe, in welcher die durchschnittliche Leistungsfähigkeit eines Gesunden nahezu erreicht sein soll.
Arbeitstherapien können zulasten der gesetzlichen Rentenversicherung sowohl im Rahmen einer stationären Rehabilitationsleistung als auch in ambulanter Form (solitäre Arbeitstherapie) zur Verfügung gestellt werden (BSG, Urteil v. 13.9.2011, B 1 KR 25/10 R).
Rz. 32
Die Belastungserprobung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX) dient i. d. R. nach Abschluss der Arbeitstherapie der Ermittlung der körperlichen und geistig-seelischen und sozialen Leistungs- bzw. Anpassungsfähigkeit des Patienten. Beurteilt werden die aktuell erreichten Fertigkeiten/Fähigkeiten und hierdurch auch die Chancen einer beruflichen Eingliederung einschließlich der dauerhaften Belastbarkeit im Arbeitsleben (erster und zweiter Arbeitsmarkt). Sie wird meist im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitstherapie in der gleichen Einrichtung, in der die Arbeitstherapie durchgeführt wird, angeboten.
Rz. 33
Sowohl die Belastungserprobung als auch die Arbeitstherapie dürfen nicht mit der Berufsfindung bzw. der Arbeitserprobung verwechselt werden. Sowohl die Berufsfindung als auch die Arbeitserprobung dienen dazu, für den Behinderten einen neuen, geeigneten Beruf zu finden. Die beiden Maßnahmen gehören gemäß § 49 Abs. 4 SGB IX als Vorstufe zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Da beide keine unmittelbaren Bildungsmaßnahmen sind, werden sie aufgrund § 49 Abs. 4 Satz 2 SGB IX dem vorgeschalteten, rehabilitationsträgerspezifischen Verwaltungsverfahren zugeordnet. Auf jeden Fall gelten sie nicht mehr als medizinische Rehabilitationsleistungen i. S. d. § 15 SGB VI.