1.1 Inhalt der Regelung
Rz. 3
§ 71 legt die Grundsätze für die Bewertung beitragsfreier Zeiten (vgl. § 54 Abs. 4 i. V. m. §§ 58, 59, 250 ff.) sowie für die Erhöhung des Wertes beitragsgeminderter Zeiten (§ 54 Abs. 3) fest. Vgl. Ausführungen zu den Reformschwerpunkten bei § 63. Sie erhalten nach Abs. 1 und 2 im Rentenfall den Wert, der sich aus der individuellen Beitragsleistung des Versicherten während seines gesamten "Versicherungslebens" bezogen auf den belegungsfähigen – im Allgemeinen vom 17. Lebensjahr bis zum Rentenfall reichenden – Zeitraum i. S. v. § 72 Abs. 2 ergibt (Gesamtleistungsbewertung). Das heißt, dass sich deren Bewertung nach der Höhe der Beiträge und der Beitragsdichte richtet, weshalb die Gesamtleistungsbewertung – eine der Kernstücke der Rentenreform von 1992 – auch als Beitragsdichtemodell bezeichnet wird (vgl. Ruland, DRV 1989, 771). Sie führt bei lückenlosem Versicherungsverlauf zu einem Gesamtleistungswert in Höhe des Beitragsdurchschnitts; mit abnehmender Beitragsdichte wird der Monatsdurchschnitt an Entgeltpunkten immer geringer.
Der "Rentenwert" von beitragsfreien Zeiten steht erst bei Eintritt des Leistungsfalles endgültig fest, er lässt sich deshalb nicht genau vorausbestimmen.
Rz. 4
Nicht alle beitragsfreien Zeiten erhalten den im Rahmen von § 71 Abs. 1 ermittelten Durchschnittswert. Für bestimmte Anrechnungszeiten wird dieser Wert begrenzt, andere Anrechnungszeiten bleiben gänzlich unbewertet (vgl. §§ 74, 263).
Rz. 5
Nach Abs. 3 werden Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (§ 57) in die Gesamtleistungsbewertung einbezogen, um so negative Folgen einer deswegen unterbliebenen Beitragszahlung zu mildern bzw. zu vermeiden. Die Berücksichtigungszeiten stehen insoweit Beitragszeiten nach einem Arbeitsentgelt von 100 % des Durchschnittsentgelts aller Versicherten (= 0,0833 Entgeltpunkte je Kalendermonat) gleich und dienen ausschließlich der besseren Bewertung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten (vgl. auch § 66).
Zur Einbeziehung von Pflegeberücksichtigungszeiten in die Gesamtleistungsbewertung vgl. § 263 Abs. 1 i. V. m. § 249b.
Berücksichtigungszeiten für Zeiten ab 1992 erhalten im Rahmen von § 70 Abs. 3a ggf. zusätzliche Entgeltpunkte.
Für die Ermittlung des Gesamtleistungswertes zählen darüber hinaus auch Zeiten der (tatsächlichen oder fiktiven) beruflichen Ausbildung, die mit ebenfalls 0,0883 Entgeltpunkten pro Ausbildungsmonat berücksichtigt werden (Abs. 3 Nr. 2).
Rz. 6
Abs. 4 schließt beitragsfreie Zeiten, die bereits bei einer Beamtenpension oder ähnlichen Versorgung ruhegehaltfähig sind bzw. bei Eintritt des Versorgungsfalles ruhegehaltfähig sein werden, von der Gesamtleistungsbewertung aus. Dadurch soll vermieden werden, dass die gesetzliche Rentenversicherung Zeiten honoriert, die beamtenrechtlich relevant sind.
Die Regelung gilt unabhängig vom Zeitpunkt der Begründung des Dienst- oder Arbeitsverhältnisses mit Versorgungsanspruch.
Rz. 7
Zur Gesamtleistungsbewertung für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten mit Entgeltpunkten (Ost) vgl. § 263a.
1.2 Normzweck
Rz. 8
Die in § 71 niedergelegte Gesamtleistungsbewertung dient dazu, auch beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten rentenrechtlich zu bewerten. Sinn der Regelung ist es daher, für bestimmte, – gesellschaftlich förderungsfähige und förderungswürdige – Zeiten, in denen der Betroffene aber keine (vollwertigen) Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung erwirtschaftet hat, bzw. nicht erwirtschaften konnte, auszugleichen; die Berücksichtigung solcher beitragsfreier Zeiten dient daher dem sozialen Ausgleich und stellt eine Abweichung bzw. Durchbrechung des Kernprinzips der Honorierung der Lebensleistung über die Rentenhöhe dar; damit wird das Äquivalenzprinzip durchbrochen (vgl. insoweit auch bereits die Komm. zu § 63).
1.3 Vorgängervorschriften
Rz. 9
Eine direkte Vorgängervorschrift existiert nicht. Beitragsfreie Zeiten waren im alten Recht Ausfall-, Ersatz- oder Zurechnungszeiten. Die alten Ausfallzeiten entsprechend den heutigen Anrechnungszeiten; vgl. zu den Zurechnungszeiten § 1260 RVO, § 37 AVG und § 58 RKG, zu den Ausfallzeiten § 1259 RVO, § 36 AVG und § 56 RKG und zu Ersatzzeiten § 1251 RVO, § 28 AVG und § 50 RKG.
1.4 Ergänzende bzw. korrespondierende Regelungen
Rz. 10
Weitere korrespondierende bzw. ergänzende Vorschriften finden sich in §§ 72, 73 und 74 sowie 263, 263a; § 263a SGB VI – Gesamtleistungsbewertung für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten mit Entgeltpunkten (Ost) – ist dabei eine Sonderregelung zu den §§ 71 bis 74 und § 263 (zutreffend LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 10.6.2015, L 7 R 377/11, Rz. 37). § 263a ist wegen der erfolgten vollständigen Rentenangleichung Ost-West (vgl. Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz v. 17.7.2017, BGBl. I S. 2575) zum 30.6.2024 außer Kraft gesetzt worden (vgl. auch Komm. zu § 63 Rz. 5). Den knappschaftlichen Besonderheiten tragen §§ 84, 265 Rechnung.
1.5 Gemeinsame rechtliche Anweisungen der DRV
Rz. 11
Die Deutsche Rentenversicherung hat im Anwendungsbereich des SGB VI umfangreiche Gemeinsame Rechtliche Anweisungen (GRA) geschaffen, die auch § 71 erfassen. Die GRA der DRV zu § 71 hat den Stand 20.12...