Rz. 28
Die Abschlagsregelungen für den Zugangsfaktor finden sich konkret in Nr. 2a, 3 und 4a.
2.2.5.1 Vorzeitige Inanspruchnahme
Rz. 29
Der Begriff "vorzeitig in Anspruch genommen" ist maßgeblich für die Ermittlung des Abschlags bei Renten wegen Alters nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a und für Renten wegen Erwerbsminderung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 3. Der Zugangsfaktor mindert sich bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer solchen Altersrente jeweils um den Faktor 0,003 für jeden vollen Kalendermonat (vgl. instruktiv LSG Hamburg, Urteil v. 23.6.2023, L 3 R 48/22, Rz. 66).
Rz. 30
Bezugspunkt der vorzeitigen Inanspruchnahme ist allein die konkret in Anspruch genommene Altersrentenart und das darin festgesetzten Alter. Ob und um welche Zahl von Kalendermonaten eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen wird, bestimmt sich allein nach der Differenz zwischen dem Alter, ab dem regelmäßig ein Anspruch auf diese Rentenart besteht, und dem Alter bei Beginn der für diese Rentenart zugelassenen "vorzeitige(n) Inanspruchnahme". Die Altersgrenzen anderer, für einen Versicherten erst nach dem tatsächlichen Rentenbeginn in Betracht kommender Rentenarten sind ohne Belang (BSG, Urteil v. 11.11.2019, B 13 R 7/19 R, Rz. 17; mit Anm. in SozSichplus 2020, Nr. 2, 7 und mit Anm. von Helwing, NZS 2020, 276; BSG, Urteil v. 17.6.2020, B 5 R 2/19 R; mit Anm. von Lau, NZS 2021, 65). Deswegen kann sich ein Versicherter, der eine Rente für langjährig Versicherte nur mit Abschlägen in Anspruch nehmen kann, nicht auf die Abschlagsfreiheit einer Rente für besonders langjährig Versicherte berufen, die der Gesetzgeber erst nach bestandskräftiger Bewilligung und Zahlung einer Rente für langjährig Versicherte in Kraft gesetzt hat; dem steht letztlich auch die Wertung des § 34 Abs. 4 entgegen, der nach bindender Bewilligung einer Rente oder für Zeiten des Bezugs einer solchen einen Wechsel in eine andere Rentenart ausschließt. Die Vorschriften über die Minderung des Zugangsfaktors bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte verstoßen auch nicht gegen das Grundgesetz; insbesondere verstößt es nicht gegen das Übermaßverbot, wenn der Versicherte kurz nach dem Rentenbeginn abschlagsfrei eine andere Altersrentenart hätte in Anspruch nehmen können (BSG, Urteil v. 11.11.2019, B 13 R 7/19 R; mit Anm. in SozSichplus 2020, Nr. 2, 7 und mit Anm. von Helwing, NZS 2020, 276; BSG, Urteil v. 17.6.2020, B 5 R 2/19 R; mit Anm. von Lau, NZS 2021, 65; die DRV hat die Urteile bereits umgesetzt, vgl. GRA der DRV zu § 77 SGB VI, Stand: 6.12.2022, Anm. 2.2).
Rz. 31
Diesbezüglich ist auch Abs. 2 Satz 3 zu beachten, der ausdrücklich anordnet, dass die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 62. Lebensjahres des Versicherten gerade nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt und damit gerade eine (negative) Fiktion für die vorzeitige Inanspruchnahme aufstellt (vgl. Komm. zu Abs. 2 Satz 3).
2.2.5.2 Minderungstatbestände
Rz. 32
Der Faktor mindert sich nach Abs. 2 Nr. 2 (a), 3 und 4a um 0,003
- für jeden Kalendermonat des Vorziehens einer Altersrente (vgl. §§ 236 ff., Rz. 3). Die Kürzung der Altersrente bei vorzeitiger Inanspruchnahme verletzt weder die Eigentumsgarantie noch den Gleichheitsgrundsatz (BVerfG, Beschluss v. 11.11.2008, 1 BvL 3/05 u. a. zu § 237 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3)
- für jeden Kalendermonat, in dem Rente wegen Erwerbsminderung oder Erziehungsrente vor dem 65. Lebensjahr in Anspruch genommen wird. Kürzung des Faktors ist verfassungsgemäß (BVerfG, Beschluss v. 11.1.2011, 1 BvR 3588/08 und 1 BvR 555/09),
- bei Hinterbliebenenrenten für jeden Kalendermonat, in dem der Versicherte vor Vollendung seines 65. Lebensjahres gestorben ist. Kürzung des Faktors ist ebenfalls verfassungsgemäß (BVerfG, Beschluss v. 7.2.2011, 1 BvR 642/09).
2.2.4.3 Minderungsumfang
Rz. 33
Die Minderung um 0,003 bedeutet, dass die Rente um 0,3 % für jeden Monat des Vorziehens geringer ist.
Rz. 34
Ein Versicherter ist geboren am |
15.6.1948 |
Er vollendete sein 65. Lebensjahr am |
14.6.2013 |
und nimmt die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit vorzeitig – um 34 Monate vor Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 237 Abs. 5 i. V. m. Anl. 19 zum SGB VI – für Geburtsjahrgänge 1948) – ab |
1.9.2010 |
in Anspruch. |
|
Der Zugangsfaktor mindert sich um 0,108 (36 × 0,003) auf |
0,892 |
D.h., dass die Rente um 10,8 % gegenüber der – erst ab 1.9.2013 zustehenden – abschlagsfreien Altersrente niedriger ist (die Regelaltersgrenze für Geburtsjahrgänge 1948 beträgt 65 Jahre + 2 Monate, § 235 Abs. 2 – Tabelle). An der um 10,8 % geringeren Rente ändert sich auch nach Beginn der Regelaltersrente nichts. |
|
Rz. 35
Die seinerzeit angerechneten Entgeltpunkte sind als noch nicht bei einer Rente berücksichtigt zu behandeln. Für die Bestimmung des Zugangsfaktors gilt Abs. 2 Satz 1.
Wird allerdings im unmittelbaren Anschluss an eine solche Rente eine weitere Rente gezahlt, liegt kein Anwendungsfall i. S. v. Abs. 2 Satz 3 vor. Es gilt Abs. 3 Satz 1 (vgl. Rz. 14 f.).