Rz. 3
Der Anwendungsbereich des § 48 erstreckt sich auf alle VA, die dem Geltungsbereich des SGB unterfallen, also auch auf solche Gesetze, die nach § 68 SGB I als besondere Teile des Sozialgesetzbuchs gelten. Grundsätzlich keine Anwendung fand § 48 nach der Rechtsprechung des BVerwG auf solche VA, die im Rahmen der Gewährung von Sozialhilfe nach dem bis zum 31.12.2004 geltenden BSHG ergangen sind (ab 1.1.2005 SGB XII), weil "entsprechend dem in der Sozialhilfe geltenden Bedarfsdeckungsprinzip die Hilfe auf die sich ständig wandelnde Lage mit wechselnden Bedürfnissen des Hilfeempfängers ausgerichtet" sei (vgl. BT-Drs. 170/78 S. 30; BVerwGE 25 S. 307) und daher kein Dauer-VA vorliege. Die Rechtsprechung wendet jedoch zunehmend die §§ 44ff. und auch § 48 auf das Sozialhilferecht an (dazu Näheres unter Rz. 10a).
Eine Aufhebung nach § 48 geht ins Leere, soweit Leistungen über das Ende einer wirksamen Befristung hinaus erbracht worden sind (LSG Brandenburg, Urteil v. 11.6.2003, L 2 RJ 44/02). Ist die Befristung aber nicht hinreichend für den Adressaten erkennbar, so muss der Bewilligungsbescheid zunächst nach § 48 aufgehoben werden, wenn die Behörde die Leistung anschließend nach § 50 zurückfordern will (LSG Brandenburg, a. a. O.).
Rz. 4
An Sonderregelungen für vorgehende (§ 37 SGB I) Regelungen sind z. B. zu nennen:
- § 49, der die Anwendung des § 48 ausschließt, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt mit Drittwirkung von dem Dritten erfolgreich im Widerspruchs- oder Klageverfahren angefochten wurde;
- § 330 Abs. 3 SGB III, der im Recht der Arbeitsförderung für Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 zwingend die Rücknahme für die Vergangenheit anordnet; sowie § 40 SGB II, der für Ansprüche auf Arbeitslosengeld II, Sozialgeld etc. auf § 330 SGB III verweist; dabei genügt es für die Anwendung von § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III, wenn einer der 4 in § 48 Abs. 1 Satz 4 SGB X genannten Vertrauensausschlusstatbestände erfüllt ist (Sächs. LSG, Urteil v. 4.5.2017, L 3 AL 39/14);
- § 53 Satz 2 BAföG, der bei Änderung der Verhältnisse gegenüber den Verhältnissen bei der Bewilligung die Anwendung des § 48 selbst ausschließt;
- § 139 Abs. 6 SGB V (BSG, Urteil v. 23.6.2016, B 3 KR 20/15 R);
- § 34 SGB VI verdrängt im Rahmen des Hinzuverdienstrechts für die Zeit ab dem 1.7.2017 auch § 48 mit der Folge, dass bei Änderungen mit Auswirkungen auf die Rentenhöhe eine zwingende Änderung vorgesehen ist (vgl. Runzer, Kompaß 2017 S. 8);
- § 62 SGB VII (vgl. BSG, Urteil v. 16.3.2010, B 2 U 2/09);
- §§ 73, 74 SGB VII, die während der dort genannten Zeiten eine Abänderung ausschließen bzw. nur eine Abänderung mit Ablauf des auf die Zustellung des Bescheides folgenden Monats wirksam werden lassen;
- § 60 Abs. 4, § 62 BVG, die eine rückwirkende Aufhebung zu Lasten des Berechtigten auch bei zurückliegender Änderung der Verhältnisse ausschließen (dazu BSG, Urteil v. 2.12.2010, B 9 V 1/10 R);
- § 10 AAÜG und Art. 38 RÜG, die für die dort angeordnete Überprüfung von Bescheiden die Neufestsetzung ohne die Voraussetzungen des § 48 und § 24 zulassen (dennoch gegen generellen Ausschluss des § 48 für die Aufhebung von Herstellungsbescheiden: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 24.2.2006, L 14 RA 97/03);
- § 44 SGB XII ist lex specialis zu § 48 SGB X: Bay. LSG, Beschluss v. 13.2.2007, L 11 B 911/06 SO PKH (Zeitpunkt der Berücksichtigung von Änderungen der Verhältnisse bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung);
- § 4 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG bzw. AufAG), vgl. hierzu Sächs. LSG, Urteil v. 13.8.2014, L 1 KR 192/11;
- die besonderen Aufhebungs- und Rückforderungsvorschriften des § 255 SGB V und § 60 SGB XI, die die §§ 44 f. SGB X verdrängen (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 12.12.2013, L 1 R 107/13).
Die in § 48 allgemein erteilte Ermächtigung zur Aufhebung von VA ist nicht anwendbar, wenn und soweit es speziell um die Änderung, Aufhebung oder Ersetzung von "vorläufigen" Feststellungen eines Rentenanspruchs in der gesetzlichen Unfallversicherung bis zum Ablauf von 3 Jahren nach dem Versicherungsfall geht (Söhngen, Anm. zu BSG, Urteil v. 16.3.2010, B 2 U 2/09 R, jurisPR 20/2010 Rz. 4: § 48 wird durch § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII verdrängt). Ebenfalls ist § 48 unanwendbar bei der Korrektur des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) gemäß § 139 Abs. 8 SGB V (vgl. BSG, Urteil v. 24.1.2013, B 3 KR 22/11 R).
Rz. 4a
Auf eine in gerichtlichen Vergleichsverträgen vereinbarte Gewährung von Sozialleistungen findet § 48 keine Anwendung (str., wie hier: LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 1.9.1999, L 8 U 23/99; Mannes/Peters-Lange, SGb 2011 S. 126). Denn bei Abschluss eines Vergleichsvertrages begegnen sich die Beteiligten auf gleicher Ebene und es wäre hiermit nicht vereinbar, der Behörde über § 48 eine einseitige Abänderungsmöglichkeit zur Verfügung zu stellen. Zudem stellt § 59 ein abweichendes Instrumentarium bei einem Abänderungsbedarf zur Verfügung, indem darauf abgestellt wird, ob das Festhalten an dem Vertrag den Vertragspartnern auch weiterhin "zumutbar" ist. Für die Annahme einer kon...