2.1 Sozialgerichtsbarkeit
Rz. 2
Die Ausübung der Sozialgerichtsbarkeit, also die Rechtsprechung in den in § 51 genannten oder gesetzlich zugewiesenen Sachgebieten, wird gemäß § 1 den Sozialgerichten als besonderen Verwaltungsgerichten anvertraut. In der Revisionsinstanz bleibt jedoch allein das Bundessozialgericht zuständig. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind Gerichte i. S. v. Art. 92 ff. GG, in denen die Gewaltenteilung gemäß Art. 20 Abs. 2 GG vollendet durchgeführt wird. Die Gerichtsbarkeit ist damit die Dritte Gewalt, die den Richtern allein anvertraut ist und durch das Bundesverfassungsgericht, die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder ausgeübt wird. Die Sozialgerichte werden jedoch nur einzelfallbezogen auf Klage tätig, soweit die Verletzung subjektiver Rechte geltend gemacht wird. Die Verletzung objektiven Rechts reicht nicht aus, da sich aus der Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch nicht ableiten lässt (BSG, Urteil v. 11.5.1999, B 11 AL 45/98 R; BSG, Urteil v. 21.10.1999, B 11/10 AL 8/98 R). Die Übertragung der Rechtsprechung allein auf Gerichte als elementarer Ausfluss des Prinzips der Gewaltenteilung wird abgesichert durch die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit der Richter sowie die Trennung von den Verwaltungsbehörden.
2.2 Unabhängigkeit
Rz. 3
Die Unabhängigkeit der Gerichte kann nur dann gegeben sein, wenn eine Unabhängigkeit der Richter besteht, die in persönlicher und sachlicher Hinsicht garantiert sein muss (Art. 97 Abs. 1 und 2 GG). Die sachliche Unabhängigkeit sichert Art. 97 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem DRiG und den Richtergesetzen der Länder sämtlichen an der Rechtsprechung beteiligten Personen zu. Das sind die Berufsrichter (Richter auf Lebenszeit – § 10 DRiG, auf Zeit – § 11 DRiG, auf Probe – § 12 DRiG, kraft Auftrages – § 14 DRiG, die abgeordneten Richter – § 37 DRiG sowie die ehrenamtlichen Richter). Sie besteht für Richter auf Landes- und Bundesebene und für alle Zweige der Gerichtsbarkeit. Die persönliche Unabhängigkeit (primär: Unabsetzbarkeit, Unversetzbarkeit, Lebenszeitstellung, angemessene Alimentation) schützt gemäß Art. 97 Abs. 2 GG nur die hauptamtlichen und planmäßig endgültig angestellten Richter. Sie besteht umfassend damit – auch für alle Gerichtsbarkeiten – nur zugunsten der Richter auf Lebenszeit (§ 10 DRiG) und auf Zeit (§ 11 DRiG). Bei Richtern auf Probe und kraft Auftrages ist die persönliche Unabhängigkeit nur insoweit eingeschränkt, als eine Entlassung gemäß §§ 22, 23 DRiG erfolgen kann.
Rz. 4
Da die Richter allein dem Gesetz unterworfen sind, sind sie weder an Weisungen des Gesetzgebers gebunden, soweit sie nicht in Gesetzesform ergehen, noch unterliegen sie Weisungen der Exekutive. Die Bindung an das Gesetz verbietet aber nicht die Auslegung gesetzlicher Normen und die damit verbundene (richterliche) Rechtsfortbildung. Ihre Grenzen findet sie jedoch da, wo der geäußerte oder mutmaßliche Wille des Gesetzgebers die Interpretation durch die Gerichte nicht mehr deckt und die Auslegung damit contra legem erfolgt (BVerfG, Beschluss v. 26.11.2018, 1 BvR 318/17; Pieroth/Aubel, JZ 2003 S. 504). Die richterliche Unabhängigkeit führt aber nicht dazu, dass der Richter keinerlei (staatlichen) Einwirkungen unterworfen ist. Dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegenüber Richtern sind so lange keine Eingriffe in die Unabhängigkeit, wie sie sich im Rahmen von § 26 DRiG halten (BVerfG, Beschluss v. 22.10.1974, 2 BvR 147/70 für die Sozialgerichtsbarkeit). Soweit ein Richter sich in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlt, hat er die Möglichkeit, das Richterdienstgericht anzurufen (§ 26 Abs. 2 DRiG). Dabei darf aber nicht verkannt werden, dass damit der dienstaufsichtsführenden Stelle eine erhebliche Einwirkungsmöglichkeit gegeben ist, die als Ausdruck einer zulässigen Gewaltenverzahnung im Rahmen der grundgesetzlichen Bestimmungen angesehen wird. Die Zuweisung der sachlichen und personellen Mittel berührt die richterliche Arbeit ebenso wie die (Nicht-)Beförderung. Von einem Richter muss aber eine derart gereifte Persönlichkeit erwartet werden, dass die durch Maßnahmen der Dienstaufsicht bei ihm möglicherweise hervorgerufene Verärgerung sich nicht auf seine Meinungs- und Entscheidungsbildung auswirkt.
2.3 Trennung von Behörden
Rz. 5
Eine Trennung der (Verwaltungs)Gerichte von den jeweiligen Verwaltungsbehörden ist nach dem heutigen Verständnis des Grundsatzes der Gewaltenteilung selbstverständlich. Jedoch war auch unter Geltung des Grundgesetzes diese gerade für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit nicht immer gegeben. Bis zum Inkrafttreten des SGG wurden Versicherungs- und Versorgungsbehörden nicht nur als Verwaltungsbehörden tätig, sondern nahmen als Spruch- oder Beschlussbehörden Rechtsprechungsaufgaben wahr (etwa nach dem früheren Sechsten Buch der RVO). Die Trennung von Gerichten und Behörden hat aber nicht nur insoweit zu erfolgen, als Behörden keine judikative Tätigkeit übertragen werden darf. Sie beinhaltet ebenso, dass Sozialgerichten keine Verwaltungsaufgaben über...