1 Allgemeines
Rz. 1
§ 100 ist der Regelung des § 33 ZPO nachgebildet worden (Begründung zu § 48 SGO/E, BT-Drs. 1/4357) und seit Inkrafttreten des SGG unverändert geblieben. Da der Gesetzgeber die Vorschrift anders als in der ZPO nicht in den Abschnitt der Regelungen über die örtliche Zuständigkeit gestellt hat, hat er sich der herrschenden Ansicht angeschlossen, § 33 ZPO regele auch die Voraussetzungen für die Widerklage.
Die VwGO enthält eine ähnliche Regelung im § 89 VwGO. Nach § 89 Abs. 2 VwGO ist die Widerklage allerdings bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen ausgeschlossen. Da das SGG keine Ausschlussregelung enthält, ist die Widerklage im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich bei allen Klagearten möglich (BSG, Urteil v. 25.3.1982, 10 RAr 7/81, BSGE 53 S. 212, 213 = SozR 4100 § 145 Nr. 2 = MDR 1983 S. 86).
Rz. 2
Die Widerklage ist eine echte Klage, die es dem Beklagten ermöglichen soll, einen Gegenanspruch gegen den Kläger im selben Verfahren geltend zu machen. Die Vorschrift soll daher prozessökonomischen Zwecken dienen (vgl. auch BSGE 3 S. 135, 140).
Die Widerklage kommt nur in Betracht, wenn der geltend gemachte Gegenanspruch nicht mit einem Verwaltungsakt durchzusetzen ist, also nur bei gleichrangigen Verhältnissen, nicht im Über-/Unterordnungsverhältnis wie es typischerweise zwischen dem Anspruchsberechtigten und dem Sozialleistungsträger vorliegt (BSGE 15 S. 81, 83; BSGE 53 S. 212, 213). Für weite Bereiche des Sozialrechts hat die Widerklage daher kaum Bedeutung. Sie kann aber z. B. bei Erstattungsstreitigkeiten nach den §§ 102 ff. SGB X oder bei Verfahren im Bereich des Leistungserbringungsrechts nach dem SGB V, vor allem bei Vergütungsstreitigkeiten, eine Rolle spielen. Auch im Zusammenhang mit Schadensersatzansprüchen kann die Widerklage in Frage kommen, allerdings nicht bei Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung, da hierfür der Sozialrechtsweg nicht gegeben ist (BSGE 18 S. 293, 297 f.).
2 Rechtspraxis
2.1 Begriff der Widerklage
Rz. 3
Eine Widerklage ist die während eines anhängigen Prozesses von dem Beklagten gegen den Kläger in demselben Verfahren und zum Zwecke gleichzeitiger Verhandlung und Entscheidung erhobene eigenständige Klage. Die Widerklage erschöpft sich nicht in der Verneinung des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs. Sie erstreckt sich vielmehr auf einen selbständigen Streitgegenstand, der aber mit dem Streitgegenstand der Klage zusammen hängt. Sie ist folglich kein Verteidigungsmittel, sondern eine echte Klage, für welche auch die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen müssen. Nicht ausgeschlossen ist deshalb auch eine Widerklage gegen eine Widerklage.
Rz. 4
Die Zwischenfeststellungsklage, § 130 Abs. 2, § 202 SGG i. V. m. § 256 Abs. 2 ZPO, ist eine besondere Form der Widerklage. Eine Widerklage, die auf die Feststellung, der Klageanspruch bestehe nicht, gerichtet ist, ist grundsätzlich zulässig (vgl. BSG, Urteil v. 25.3.1982, 10 RAr 7/81, BSGE 53 S. 212, 213; nach Peters, in: Peters/Sautter/Wolff, § 100 Anm. 2, gilt das nur bei Vorliegen einer Teilklage, wenn damit die Feststellung, der gesamte Anspruch bestehe nicht, erreicht werden kann).
Rz. 5
Die Widerklage kann auch in Form einer Eventualwiderklage erhoben werden, also unter der Voraussetzung, dass der Klage stattgegeben wird (BSGE 15 S. 81, 83; BSGE 53 S. 212, 213).
2.2 Voraussetzungen der Widerklage
2.2.1 Rechtshängigkeit
Rz. 6
Die Widerklage ist nur zulässig, wenn zur Zeit der Erhebung der Widerklage die (Haupt-)Klage rechtshängig i. S. d. § 94 ist. Ob es genügt, wenn die Hauptsache erledigt, aber die Streitsache wegen der Kosten noch anhängig ist, wird nicht einheitlich gesehen (bejahend Pawlak, in Hennig, § 100 Rn. 5; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, § 100 Rn. 3, der allerdings darauf hinweist, dass insoweit wegen des erforderlichen Zusammenhangs kaum noch ein Anwendungsbereich für die Widerklage verbleibt). Mittlerweile hat sich wohl auch in der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit die überwiegende Auffassung herausgebildet, es sei nicht ausreichend, wenn der Rechtsstreit allein noch wegen der Kosten anhängig sei (vgl. Vollkommer in Zöller, § 33 Rn. 17; Heinrich, in: Musielak, § 33 Rn. 6; Rennert in Eyermann, § 89 Rn. 6; Kopp, § 89 Rn. 4; Ortloff, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner; § 89 Rn. 8). Damit stimmt die überwiegende Meinung zu § 100 überein. Nach Auffassung von Peters ist die Gegenmeinung nicht vereinbar mit der weiteren Zulässigkeitsvoraussetzung des Zusammenhangs des Gegenanspruchs mit dem Klageanspruch (Peters/Sautter/Wolff, § 100 Anm. 2, S. II/61; ebenso Rohwer-Kahlmann, § 100 Rn. 7; siehe auch Bley, in: GK § 100 Anm. 3c). Dieser Auffassung und damit der überwiegenden Auffassung ist zuzustimmen. Darüber hinaus ist problematisch, dass der Zweck der Prozessökonomie in einem solchen Stadium des Verfahrens im Grunde nicht mehr erreicht werden kann. Im Gegensatz zum Fall der Erledigung der Hauptklage auf andere Weise nach Erhebung der Widerklage fehlt bei dieser Fallgestaltung von vornherein der Grund für die Verfolgung des Anspruchs gerade im Rahmen einer Widerklage.
Rz. 7
Keine Voraussetzung ist...