Rz. 5

Damit ein gerichtlicher Vergleich als solcher wirksam ist, muss er vor dem Gericht, bei dem die Sache rechtshängig ist, zwischen den richtigen Beteiligten unter Beachtung der Regelungen des Prozessrechts sowie des einschlägigen materiellen Rechts zustande kommen. Die Unwirksamkeit des Vergleichs kann sich daher insbesondere aus der Nichtigkeit oder wirksamen Anfechtung des materiellen Vertrags oder der Unwirksamkeit einer Prozesshandlung ergeben.

 

Rz. 6

Ist der Vergleich aus materiellen Gründen unwirksam, so entfaltet er auch prozessrechtlich keine Wirkungen. Nach der Rechtsprechung des BSG finden auf den Vergleich als Vertrag i. S. d. § 779 BGB grundsätzlich die BGB-Vorschriften entsprechende Anwendung (BSGE 7 S. 279, 280). Umstritten ist, ob die allgemeinen Anfechtungsregelungen der §§ 119 ff. BGB auf Prozessvergleiche angewendet werden können (ablehnend: LSG NRW, Urteil v. 26.5.2010, L 12 SO 103/10, juris; Beschluss v. 30.7.2008, L 20 B 86/08 SO ER, juris; Beschluss v. 8.2.2006, L 17 U 175/05; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 17.2.2010, L 6 R 621/09, juris; ausdrücklich offen gelassen von LSG Bayern, Urteil v. 28.4.2010, L 1 R 232/10, juris; die Anwendung voraussetzend: LSG Bayern, Urteil v. 25.2.2010, L 14 R 911/08, juris). Dagegen ist ein Widerruf des Prozessvergleichs bei Vorliegen von Wiederaufnahmegründen gem. §§ 179, 180 SGG, §§ 578 ff. ZPO ebenso möglich wie die Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen nach §§ 116 ff. BGB (vgl. LSG NRW, Urteil v. 26.5.2010, L 12 SO 103/10, juris; LSG Bayern, Urteil v. 16.3.2011, L 10 AL 270/10, juris; Urteil v. .4.2010, L 10 AL 252/09, juris).

 

Rz. 7

Ein gerichtlicher Vergleich kann nur geschlossen werden, solange das Verfahren rechtshängig i. S. d. § 94 ist. Unerheblich ist, ob die Klage oder das Rechtsmittel zulässig ist. Ein Vergleich kann auch noch nach Verkündung des Urteils geschlossen werden, solange die Rechtsmittelfrist noch nicht abgelaufen und das Verfahren dementsprechend noch nicht rechtskräftig beendet ist.

 

Rz. 8

Der gerichtliche Vergleich kann vor dem Gericht in voller Besetzung oder auch vor dem Vorsitzenden oder dem beauftragten oder ersuchten Richter geschlossen werden. Eine falsche Besetzung hindert die Wirksamkeit nicht (BGHZ 35 S. 309).

 

Rz. 9

Der Vergleich kann auch über Gegenstände geschlossen werden, die weder in dem betreffenden noch in einem anderen Verfahren rechtshängig sind. Dies sollte sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung eindeutig ergeben; ist insoweit keine klare Regelung getroffen worden, ist im Zweifel von einer Beschränkung der Vereinbarungen auf den anhängigen Streitgegenstand auszugehen (vgl. hierzu den Fall des LSG NRW, Urteil v. 24.1.2007, L 12 AL 61/06, zur (Nicht-)Berücksichtigung von Folgebescheiden zur Arbeitslosenhilfe). Im sozialgerichtlichen Verfahren können Vereinbarungen getroffen werden, über welche das Gericht nicht entscheiden dürfte, weil der Sozialrechtsweg nicht gegeben ist (vgl. Zeihe, § 101 Rn. 7b; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, § 101 Rn. 5). Deshalb kann im Rahmen des Vergleichs auch eine Regelung über einen möglichen Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 GG, § 839 BGB, für den die Landgerichte zuständig wären, getroffen werden.

 

Rz. 10

Die Beteiligten müssen über den Gegenstand des Vergleichs verfügen können. Eine Behörde kann über den Gegenstand verfügen, wenn sie im Rahmen ihres Verwaltungshandelns, insbesondere durch den Erlass eines Verwaltungsakts, eine gleiche Regelung hätte treffen können. Maßgeblich ist dabei nicht, ob sie genauso hätte handeln dürfen, sondern ob sie es hätte tun können (BSG, SozR 1500 § 101 Nr. 8 und 9; BSG, Urteil v. 17.5.1989, 10 RKg 16/88, SozR 1500 § 101 Nr. 8). Eine fehlerhafte Anwendung oder Auslegung der Gesetze allein führt deshalb nicht zur Unwirksamkeit des Vergleichs (LSG NRW, Urteil v. 30.8.2000, L 17 U 157/98; SG Hildesheim, Beschluss v. 19.8.2008, S 39 AY 233/07 ER, SAR 2008, 130; Peters/Sautter/Wolff, § 101 Anm. 1b, S. II/61-47). Die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit kann sich aber aus einem Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ergeben, § 58 Abs. 1 SGB X, §§ 134, 138 BGB. Eine bloße Rechtswidrigkeit eines Vergleichs berechtigt auch nicht, den Vergleich zu kündigen (LSG Niedersachsen, Breithaupt 2000 S. 339).

 

Rz. 11

Ein Vergleich kann zwischen dem Kläger und dem Beklagten geschlossen werden. Ein Beigeladener kann sich an dem Vergleich beteiligen, er muss es nach h. M. aber nicht, auch nicht der nach § 75 Abs. 2 notwendig Beigeladene (a. A. Zeihe, § 101 5a ff. und 7b). Am Vergleich nicht Beteiligte werden durch ihn nicht gebunden. In einen Vergleich mit einbezogen werden können sogar Dritte, die keine Beteiligten i. S. d. § 69 sind (Peters/Sautter/Wolff, § 101 Anm. 1b, S. II/61-48; Leitherer, in: Meyer-Ladewig, § 101 Rn. 6a). Streitig ist, ob in den Prozess einbezogene Dritte vor dem BSG dem Vertretungszwang nach § 166 unterliegen (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig, § 101 Rn. 8).

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