2.1 Begriff der Rücknahmeerklärung nach Abs. 1

 

Rz. 5

Die Klagerücknahme ist eine einseitige, empfangsbedürftige Prozesshandlung, mit der der Kläger gegenüber dem Gericht erklärt, er verfolge den prozessualen Anspruch auf Weiterführung des Verfahrens nicht mehr. Dementsprechend ist sie eine prozessuale Verzichtserklärung. Sie ist das Gegenstück zur Klageerhebung (BSGE 21 S. 13, 15 = Breithaupt 1965 S. 84).

 

Rz. 6

Denkbar ist auch eine teilweise Rücknahme der Klage. Ob eine solche Teilrücknahme in anderen Prozesshandlungen zu sehen ist, ist eine Frage der Auslegung im Einzelfall (vgl. BSG, Urteil v. 23.2.2005, B 6 KA 77/03 R, SozR 4-1500 § 92 Nr. 2 = USK 2005 S. 109). So kann z. B. in einer Klagebeschränkung oder in einer Klageänderung i. S. d. § 99 eine Teilrücknahme enthalten sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 18.9.2009, L 8 U 5884/08, UV-Recht Aktuell 2009, 1223; aber LSG Brandenburg, Urteil v. 28.8.2000, L 7 U 32/00, HVBG-INFO 2001 S. 2564 ff., zu einem Fall der Teilrücknahme in der mündlichen Verhandlung) und ebenso in der Annahme eines Teilanerkenntnisses bei gleichzeitiger vollumfänglicher Erledigungserklärung (Fall des LSG Hessen, Urteil v. 21.2.2003, L 15/13 RA 1006/00; vgl. auch BSG, Urteil v. 6.5.2010, B 13 R 16/09 R, SozR 4-1300 § 48 Nr. 19 = Breithaupt 2011 S. 230).

 

Rz. 7

Erklärt der Kläger, er verzichte auf eine Fortführung des Verfahrens, so ist dies i. d. R. als Klagerücknahme auszulegen. Abzugrenzen ist der rein prozessuale Verzicht gegenüber dem Verzicht in materieller Hinsicht, der das Gegenstück zum Anerkenntnis darstellt. Der materiell-rechtliche Anspruch wird durch die Klagerücknahme nicht berührt, er kann jedoch nicht mehr Gegenstand einer Klage werden (siehe hierzu auch Peters/Sautter/Wolff, § 102 Anm. 1 m. w. N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn keine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist (so LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 14.10.2004, L 5 U 17/03, im Fall einer Leistungsklage wegen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X).

Da die Klagerückname eine Prozesshandlung ist, ist sie wie alle Prozesshandlungen bedingungsfeindlich, grundsätzlich unwiderruflich (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 18.11.2014, L1 KR 552/14; LSG Sachsen, Urteil v. 6.5.2004, L 3 AL 301/03; LSG Brandenburg, Urteil v. 4.2.2004, L 2 RJ 103/03; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.10.2000, L 9 AL 98/00) und unanfechtbar, es sei denn, es liegen Wiederaufnahmegründe i. S. d. ZPO vor (BSG, Beschluss v. 12.9.1961, 3 RK 13/59, SozR § 102 Nr. 6; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 18.11.2014, L1 KR 552/14; LSG Bayern, Urteil v. 18.5.2011, L 16 AS 48/1; Beschluss v. 13.5.2011, L 7 AS 293/11 B ER; LSG Brandenburg, Urteil v. 4.2.2004, L 2 RJ 103/03; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 24.2.1999, L 2 RJ 4585/98; LSG Baden-Württemberg, Urteil v.8.4.1997, L 13 Ar 3353/96; LSG Berlin, Urteil v. 15.4.1997, L 13 Vs 94/96). Andererseits müssen die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen für alle Prozesshandlungen, vor allem die Prozessfähigkeit, erfüllt sein. Hat aber ein vollmachtloser Vertreter oder ein Prozessunfähiger die Klage erhoben, so kann er sie auch wieder zurücknehmen (zum Fall eines nicht postulationsfähigen Klägers: BSG, Beschluss v. 27.10.2016, B 13 R 337/15 B; BSG, Entscheidung v. 23.9.1982, BSGE 54 S. 104; vgl. hierzu auch Rn. 11).

2.2 Form der Erklärung nach Abs. 1 Satz 1

 

Rz. 8

Die Rücknahmeerklärung muss gegenüber dem Gericht abgegeben werden, wenn sie prozessual wirksam sein soll (BSG, Beschluss v. 27.10.2016, B 13 R 337/15 B m. w. N.). Der Kläger kann sich zwar auch gegenüber einem anderen Prozessbeteiligten verpflichten, die Klage zurückzunehmen. Wirksam wird dies jedoch erst mit seiner Erklärung gegenüber dem Gericht. Die Rücknahme ist gegenüber dem Gericht zu erklären, bei dem die Klage anhängig ist. Nach Einlegung eines Rechtsmittels ist sie gegenüber dem Rechtsmittelgericht zu erklären. Das gilt auch nach Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde (BSG, Beschluss v. 27.10.2016, B 13 R 337/15 B; BSG, Breithaupt 1984 S. 263, 265 = SozR 1500 § 102 Nr. 5). Wird gleichzeitig die Rücknahme der Klage sowie eines Rechtsmittels erklärt, so hat die Rücknahme der Klage Vorrang, weil sie weitergehende Wirkungen entfaltet (vgl. BVerwGE 26 S. 297, 298 f).

 

Rz. 9

Eine besondere Form hat der Gesetzgeber für die Rücknahmeerklärung nicht vorgesehen. Sie kann daher auch durch Telefax oder Telegramm oder in der mündlichen Verhandlung erklärt werden. Wird sie in der mündlichen Verhandlung erklärt, so ist das in die Niederschrift aufzunehmen, § 122 SGG i. V. m. § 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO (vgl. auch LSG Brandenburg, Urteil v. 4.2.2004, L 2 RJ 103/03). Zudem muss die Erklärung dem Kläger zur Genehmigung vorgelesen oder vorgelegt und der entsprechende Genehmigungsvermerk in das Protokoll aufgenommen werden, § 122 SGG i. V. m. § 162 Abs. 1 ZPO. Unterbleibt dies, wird die Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung davon aber nicht berührt (BSG, Urteil v. 12.3.1981, 11 RA 52/80, SozR 1500 § 102 Nr. 4; LSG Thüringen, Breithaupt 1995 S. 890; a. A. LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1974 S. 993).

 

Rz. 10

Die Rücknahme...

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