2.1.1 Keine besonderen Schwierigkeiten

 

Rz. 4

Tatbestandsvoraussetzung für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist, dass die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Die Sache muss nach dem Wortlaut nicht unterdurchschnittlich schwierig sein, ein durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad hindert nicht. Bei der Beurteilung des Grades der Schwierigkeit einer Streitsache steht dem Gericht ein Beurteilungsspielraum zu (LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1994 S. 254 = E-LSG V-007; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 29.11.1999, L 4 RJ 158/99). Das LSG kann nur überprüfen, ob das SG die Grenzen des Spielraums überschritten hat. Sie sind überschritten, wenn die Streitsache überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweist, die Entscheidung des SG auf sachfremden Erwägungen oder auf groben Fehleinschätzungen beruht.

 

Rz. 5

Als überdurchschnittlich anzusehen ist eine Streitsache, wenn Schwierigkeiten bei der Auslegung der anzuwendenden Normen bestehen, der Sachverhalt unübersichtlich ist oder eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich und eine nicht einfache Beweiswürdigung vorzunehmen ist. Ist die Rechtslage durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, ist grundsätzlich nicht von besonderen Schwierigkeiten auszugehen (SG Altenburg, SGb 1998 S. 221). Selbst bei Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung muss die Sache nicht zwingend überdurchschnittlich schwierig sein (LSG Niedersachsen, SGb 1996 S. 429; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 24.8.2009, L 20 AS 18/09, ZFSH/SGB 2009 S. 683; LSG Sachsen, Urteil v. 29.3.2007, L 3 AS 101/06, info also 2007, 167; BSG, Urteil v. 16.3.2006, B 4 RA 59/04 R, SozR 4-1500 § 105 Nr. 1 = NZS 2007 S. 51, zu einem Gerichtsbescheid, mit dem die Sprungrevision zugelassen wurde; Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, § 105 Rn. 3). Im Regelfall wird das jedoch der Fall sein (so auch Clausing, in: Schoch, § 84 VwGO Rn. 17. Nach Auffassung des 4. Senats des BSG weist eine Rechtssache bei Zulassung der Sprungrevision im Gerichtsbescheid wegen grundsätzlicher Bedeutung der Angelegenheit stets besondere Schwierigkeiten rechtlicher Art auf, so dass eine solche Zulassung unabdingbar eine Kompetenzverletzung bewirkt (so auch Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 105 Rn. 6b; Müller, in: Roos/Wahrendorf, § 105 Rn. 13; Hintz/Lowe, § 105 Rn. 7). Sind neue Rechtsvorschriften, welche die bisherige Rechtslage abweichend regeln, anzuwenden und auszulegen, ist stets von besonderen Schwierigkeiten rechtlicher Art auszugehen (BSG, Urteil v. 30.8.2001, B 4 RA 87/00 R, BSGE 88 S. 274, 277 f. = SozR 3-5050 § 22b Nr. 1; LSG Thüringen, Urteil v. 25.7.2002, L 2 RA 186/00; a. A. aus nachvollziehbaren Gründen: Peters/Sautter/Wolff, § 105, Rn. 23). Bezüglich des Schwierigkeitsgrades in tatsächlicher Hinsicht ist eine besonders auf den Einzelfall bezogene Beurteilung vorzunehmen. Selbst nach umfangreicher Beweisaufnahme können die Voraussetzungen für einen Gerichtsbescheid vorliegen, z. B. wenn alle Beweismittel unzweifelhaft dasselbe Ergebnis erbracht haben. Eine Beweiswürdigung kann schwierig sein, wenn kein aktuelles medizinisches Gutachten vorliegt oder unklar ist, welche Gesetzesfassung zugrunde zulegen ist (LSG Nordrhein-Westfalen, L 13 RJ 88/03).

 

Rz. 6

Ein Gerichtsbescheid bietet sich zum Teil bei offensichtlicher Unzulässigkeit einer Klage an, vor allem wenn diesbezügliche Hinweise des Gerichts ignoriert werden. So kann eine Klage durch Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen werden, wenn die nach § 73 Abs. 6 erforderliche Vollmacht nicht zu den Akten gereicht wird (siehe hierzu auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 3.11.1999, L 4 KA 4/99, NZS 2000 S. 372). Allerdings muss durch angemessene Fristeinräumung nach entsprechendem Hinweis der Anspruch auf das rechtliche Gehör gewahrt werden. Wird dagegen verstoßen, kann im Rechtsmittelverfahren noch der Mangel der Vollmacht rückwirkend geheilt werden (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.5.2002, L 7 U 2930/00, HVBG-INFO 2003 S. 119). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass die Vorlage einer Vollmacht für Rechtsanwälte nach § 73 Abs. 6 Satz 5 in der ab dem 1.4.2008 geltenden Fassung nicht mehr zwingend ist.

2.1.2 Geklärter Sachverhalt

 

Rz. 7

Weitere Tatbestandsvoraussetzung ist ein geklärter Sachverhalt. Die Klärung kann sich auch aufgrund einer Beweisaufnahme ergeben haben. Das ist z. B. der Fall, wenn eine Vielzahl im Wesentlichen übereinstimmender Sachverständigengutachten vorliegen (so LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 17.11.2010, L 1 R 16/10, juris). Der Sachverhalt ist grundsätzlich geklärt, wenn sich dem Gericht aufgrund seiner Amtsermittlungspflicht nach § 103 keine weiteren Ermittlungen aufdrängen (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 13.3.2009, L 5 AS 99/08, juris; Pawlak, in: Hennig, § 105 Rn. 34). Hat ein Beteiligter einen Beweisantrag gestellt, der nicht offensichtlich unbegründet ist, so kann das Gericht im Gerichtsbescheid darlegen, weshalb es dem Antrag nicht stattgeben musste, etwa weil er nicht beweiserheblich ist. Übergeht es den Antrag schlich...

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