Rz. 9
§ 105 Abs. 1 Satz 2 schreibt zwingend die Durchführung einer Anhörung der Beteiligten vor, um den Anspruch auf das rechtliche Gehör sicherzustellen. Angehört werden müssen alle Beteiligten, unabhängig davon, ob die beabsichtigte Entscheidung sie belastet oder nicht (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 27.2.2003, L 10 RJ 49/02). Im Regelfall erfolgt die Anhörung durch eine entsprechende Mitteilung des Gerichts; sie kann aber auch in einem Erörterungstermin erfolgen. An die Anhörungsmitteilung stellt die Rechtsprechung höhere Anforderungen. Die Anhörungspflicht ist danach verletzt, wenn das Gericht einen bloßen Hinweis gibt, es beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Es muss vielmehr zu erkennen geben, in welche Richtung es zu entscheiden gedenkt und konkrete, einzelfallbezogene Hinweise geben (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.9.1993, L 7 J 109/93, E-LSG SF-010 (SGG); Urteil v. 26.10.1998, L 4 RJ 167/98; Urteil v. 29.11.1999, L 4 RJ 158/99; Urteil v. 5.9.2001, L 10 SB 70/01; Urteil v. 23.1.2002, L 10 SB 142/01). Insoweit dürfen die Anforderungen an den Inhalt der Anhörungsmitteilung aber nicht überspannt werden, um den Gesetzeszweck nicht zu vereiteln (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig, § 105 Rn. 10, 10a). Drängt sich eine bestimmte Entscheidung geradezu auf, so muss nicht konkret hierauf hingewiesen werden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 23.1.2002, L 10 SB 142/01). Ein Entwurf einer Anhörungsmitteilung lässt sich bei Zeihe, § 105 Rn. 9a, finden.
Der Anspruch auf das rechtliche Gehör ist verletzt, wenn der Gerichtsbescheid erteilt wird, bevor die ablehnende Entscheidung über Prozesskostenhilfe rechtskräftig geworden ist (BayLSG, Urteil v. 25.6.2004, L 18 V 8/04, Breithaupt 2005 S. 221).
Rz. 10
Im Regelfall genügt eine einmalige Anhörung; es kann sich aber auch die Notwendigkeit einer erneuten Anhörung ergeben. Das ist in erster Linie dann der Fall, wenn sich nach Durchführung der ersten Anhörung eine neue Prozesssituation ergibt. Eine neue Prozesssituation kann dadurch entstehen, dass sich die Beteiligten im Rahmen der ersten Anhörung ausführlich zur Sach- und Rechtslage äußern (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 23.1.2004, L 12 RJ 88/03; LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 28.6.2000, L 8 RA 18/00, E-LSG RA-117; NZS 2000 S. 580; NZS 2001 S. 167) oder ein Beteiligter im Rahmen der Anhörung Einwände gegen das Ergebnis der Beweisaufnahme erhebt und seinen Vortrag unter Benennung weiterer Beweismittel ergänzt (LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 28.6.2000, L 8 U 77/99, E-LSG U-130; NZS 2000 S. 580; NZS 2001 S. 224; SGb 2001 S. 679). In letzterem Falle dürfte es i. d. R. allerdings schon an der Voraussetzung des geklärten Sachverhalts fehlen. Ferner kann eine neue Prozesssituation vorliegen, wenn erstmals die Klage begründet wird (LSG Berlin, Urteil v. 3.9.1998, L 3 U 7/98). Entscheidend ist dabei aber jeweils darauf abzustellen, ob der neue Vortrag oder Beweisantrag entscheidungserheblich ist. Ggf. muss das SG aber zumindest auf seine Absicht hinweisen, trotz neuen Vortrags oder eines neuen Beweisantrags weiterhin eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid treffen zu wollen.
Rz. 11
Eine Fristsetzung für die Abgabe einer Stellungnahme ist nicht zwingend, aber sinnvoll. Den Beteiligten muss jedenfalls auch in zeitlicher Hinsicht ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Deshalb wird auch eine Untergrenze von 10 Tagen (Pawlak, in: Hennig, § 105 Rn. 50) bzw. von 14 Tagen (Kühl, in: Breitkreuz/Fichte, § 105 Rn. 5; Müller, in: Roos/Wahrendorf, § 105 Rn 27; Roller, in: Lüdkte, § 105 Rn. 8; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 5.10.2004, L 11 KR 5239/03) für eine Frist zur Stellungnahme angenommen; vertreten wird auch eine Frist bis zu einem Monat für kompliziertere Angelegenheiten (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 105 Rn. 12). Hat das Gericht eine Frist gesetzt, so darf es nicht vor Ablauf der Frist entscheiden, wenn sich die Beteiligten nicht abschließend geäußert haben (vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 10.8.2006, L 9 B 89/06 KR). Im Falle einer Fristsetzung ist nach § 63 Abs. 1 zuzustellen. Auch wenn keine Frist gesetzt wird, kann sich eine Zustellung empfehlen, da bei Bestreiten des Zugangs der Mitteilung das rechtliche Gehör verletzt ist, wenn sich der Nachweis des Zugangs nicht erbringen lässt und auch sonst keine genügenden Anhaltspunkte für einen ordnungsgemäßen Zugang vorhanden sind (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 19.7.1994, L 2/V 30/94, E-LSG SFg/SGB-019).
Rz. 12
Haben die Beteiligten sich ausdrücklich mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt, so kann im Regelfall von dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 105 Abs. 1 Satz 1 ausgegangen werden.
Eine Einverständniserklärung mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung genügt nicht, da sie sich auch auf ein Urteil ohne mündliche Verhandlung beziehen kann. Ein derartiges Einverständnis kann deswegen auch nicht die erforderlich...