Rz. 16

§ 109 Abs. 2 gibt dem Gericht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, den Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes abzulehnen.

Die Ablehnung steht im Ermessen des Gerichts.

Erste Tatbestandsvoraussetzung ist die Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits. Deren Eintritt wird regelmäßig befürchtet werden müssen. Die gegenteilige Meinung (vgl. LSG NRW, Urteil v. 10.6.2009, L 2 KN 98/09 U, juris; LSG NRW, Urteil v. 28.1.2010, L 2 KN 212/09 U, UV-Recht Aktuell 2010 S. 512; LSG Hessen, Urteil v. 4.5.2011, L 6 AL 86/10, juris) übersieht, dass der Vorsitzende in seiner Terminierungspraxis nach § 110 Abs. 1 Satz 1 keinen Beschränkungen unterliegt und zudem nach keinem Rechtssatz verpflichtet ist, der Ankündigung des potenziellen Sachverständigen, das Gutachten rasch zu erstellen, Vertrauen zu schenken. Unzulässig ist zudem eine spätere Aufrechnung des Zeitraumes bis zur Terminierung gegen die mutmaßliche Dauer der Erstattung, zumal völlig offen ist, welche notwendigen Ermittlungsschritte noch zu gehen gewesen wären, wenn das Gutachten unklar und ergänzungsbedürftig erschienen wäre.

Weiter erforderlich ist, dass der Antrag aus Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss der Antrag so früh wie möglich gestellt werden. Dem Beteiligten ist es aber erlaubt abzuwarten, welche Ermittlungen das Gericht von Amts wegen führen wird. Es besteht grundsätzlich kein Anlass, bereits mit Erhebung der Klage Antrag nach § 109 zu stellen. Die Sachlage ändert sich, wenn den Beteiligten das Ende der von Amts wegen geführten gerichtlichen Ermittlungen angezeigt wird oder sie zumindest aus anderweitigen Umständen schließen können, dass das Gericht nicht (mehr) auf Grundlage von § 103 ermitteln wird (vgl. LSG NRW, Urteil v. 26.8.2008, L 15 U 174/07, juris). In der Rechtspraxis hat sich durchgesetzt, den betroffenen Beteiligten von diesem Zeitpunkt an eine allgemeine Überlegungsfrist zwischen 4 und 6 Wochen einzuräumen (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 16.8.2001, L 5 U 83/99, juris; LSG NRW, Urteil v. 8.2.2007, L 2 KN 236/06, juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 13.1.2011, L 3 R 350/08, juris). Dieser Zeitraum soll etwa dazu genutzt werden, sich das Ergebnis der von Amts wegen durchgeführten Ermittlungen zu vergegenwärtigen, die medizinische Sachlage möglicherweise mit dem behandelnden Arzt zu besprechen, um die Erfolgsaussichten eines Antrags nach § 109 besser einschätzen zu können, und den nach § 109 anzuhörenden Arzt auszuwählen. Die Beschaffung der Mittel für den Kostenvorschuss fällt nicht in diese Frist, denn regelmäßig wird dem Antragsteller vom Gericht nach Eingang des Antrags eine angemessene Frist zur Einzahlung eingeräumt.

Die genannte Frist von 4 bis 6 Wochen bedeutet nicht, dass der Antragsteller bei Überschreiten nicht noch erfolgreich besondere Gründe darlegen können soll, die ihn an einer früheren Antragstellung gehindert haben.

Um den Tatbestand der groben Nachlässigkeit i. S. d. § 109 Abs. 2 besteht viel Kasuistik. Der Antrag wird z. B. als verspätet angesehen,

  • wenn mit Zugang der betreffenden gerichtlichen Verfügung, spätestens aber mit Zugang der Ladung, für den Kläger ersichtlich war, dass das Gericht eine weitere Beweisaufnahme nicht beabsichtigte (LSG Hessen, Urteil v. 6.10.1998, L 4 SB 1196/96, juris),
  • wenn in Kenntnis der Tatsache, dass der Senat erkennbar keine medizinische Sachaufklärung einleitete, mit der Stellung des Antrags bis unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gewartet wird (LSG BW, Urteil v. 29.1.1998, L 12 V 3441/96, juris),
  • wenn 4 Wochen vor der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen worden ist, dass eine weitere Beweisaufnahme von Amts wegen nicht beabsichtigt sei (Bay LSG, Urteil v. 27.7.1999, L 18 V 33/98, juris).

Eine Hinweispflicht des Gerichts auf die Möglichkeit, einen Antrag nach § 109 zu stellen, besteht grundsätzlich nicht (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 16.8.2001, L 5 U 83/99, juris). Erst recht nicht ist dem Gesetz in irgendeiner Weise zu entnehmen, dass § 109 Abs. 2 nur dann zur Anwendung kommen könne, wenn zuvor eine richterliche Frist zur Antragstellung gesetzt und der betreffende Hinweis zugestellt worden sei (problematisch insoweit die Erwägungen des LSG NRW, Urteil v. 8.2.2007, a. a. O.) Ist jedoch ein Hinweis erfolgt, so kann dies gerade für die Frage bedeutsam sein, ob der Antragsteller sich grob nachlässig verhalten hat.

Das Gericht hat die Wahl, die Ablehnungsentscheidung über den Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 in Beschlussform zu fertigen oder die Ablehnung konkludent im Urteil auszusprechen und innerhalb der Entscheidungsgründe zu begründen. Entscheidet das Gericht durch Beschluss, gibt es hiergegen keine Beschwerdemöglichkeit (vgl. § 172 Abs. 2).

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