Rz. 7
Mit dem Einverständnis aller Beteiligten, ggf. also auch dem der Beigeladenen, darf das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Sinn der Regelung besteht darin, die Gerichte zu entlasten und das Verfahren im Interesse der Beteiligten zu vereinfachen und zu beschleunigen (vgl. BSG, Urteil v. 22.9.1977, 10 RV 79/76, Rz. 12). Als Ausnahmevorschrift ist § 124 Abs. 2 eng auszulegen. Eine Beschleunigung ergibt sich in der Praxis namentlich dadurch, dass auf Sachen, in denen die Beteiligten ihr Einverständnis nach § 124 Abs. 2 erteilt haben, kurzfristig als Ersatz zurückgegriffen werden kann, wenn eine zur mündlichen Verhandlung geladene Sache wegen Verhinderung eines Beteiligten kurz vor dem Verhandlungstag aufgehoben werden muss und die Möglichkeit einer Nachladung nicht mehr besteht. Sinnvoll ist die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aber nur, wenn die Sach- und Rechtslage eine mündliche Erörterung mit den Beteiligten überflüssig erscheinen lässt (vgl. BSG, Beschluss v. 20.8.2009, B 14 AS 41/09 B). Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 ist (mit dem entsprechenden Einverständnis) auch dann noch möglich, wenn bereits eine mündliche Verhandlung in der Sache vertagt worden ist (vgl. BVerwG, Buchholz 428, § 4 VermG Nr. 50; wegen der Besetzung des Spruchkörpers vgl. § 129). Auch wenn ein Gerichtsbescheid (§ 105) vorangegangen ist können die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung in der zweiten Instanz verzichten, denn gegen den Willen der Beteiligten muss keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden (vgl. Sächsisches LSG, Urteil v. 6.5.2010, L 3 AS 588/09). Entsprechendes gilt, wenn bereits in erster Instanz nach § 124 Abs. 2 entschieden worden ist (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 19.2.2014, L 9 AL 233/13). Eine bestimmte Form ist für die Einverständniserklärung nicht vorgeschrieben (vgl. BSG, Die Kriegsopferversorgung 1968, 179; BAG, NZA 1994, 381; BGH, NJW 2007, 349). Ob fernmündlich auf die mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ist streitig (ausführlich zum Streitstand: Hauck, in: Henning, SGG, § 124 Rz. 35; Dolderer, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 101 Rz. 22; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, § 101 Rz. 6: "Schriftform"; Störner, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VwGO, § 101 Rz. 7). Die h. M. lässt die fernmündliche Erklärung ausreichen, wenn die Identität des Erklärenden feststeht und die Erklärung vom zuständigen Urkundsbeamten oder Richter wortgetreu aufgenommen und nach Vorlesen vom Erklärenden genehmigt wird; es bietet sich auch die Bestätigung durch ein Fax des Gerichts an. Weil sich heute durch Fax und unter Umständen E-Mail des Beteiligten eine Unsicherheiten ausschließende und deshalb vorzuziehende schriftliche Erklärung ähnlich schnell herbeiführen lässt, besitzt diese Frage keine große praktische Bedeutung mehr. Das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung kann auch wirksam in einem vorausgegangenen Termin zu Protokoll erklärt werden. Verlesung und Genehmigung des Protokolls schreibt § 122 SGG i. V. m. § 162 Abs. 1 Satz 1 Alt 1 ZPO nur für im Einzelnen aufgeführte Prozesserklärungen wie Klagerücknahme und Rechtsmittelverzicht vor, zu denen der Verzicht auf die mündliche Verhandlung nicht gehört (BSG, Beschluss v. 28.6.2018, B 9 SB 53/17 B, Rz. 6).
Rz. 8
Wegen seiner weit reichenden Folgen muss das Einverständnis ausdrücklich, unzweideutig und vorbehaltlos sein (BSG, Urteil v. 19.12.1991, 12 RK 49/91; BSG, Beschluss v. 9.4.2019, B 1 KR 81/18 R: Auslegung der Erklärungen des Klägers; Beispiel für Unklarheit im Zusammenhang mit § 155: BSG, Beschluss v. 3.6.2009, B 5 R 306/07 R) und vor der Entscheidung erteilt werden. Eine nachträgliche Billigung der Beteiligten kann den Mangel nicht heilen, da die Einverständniserklärung einerseits ein Abweichen von dem Verfahrensgrundsatz der Mündlichkeit und damit einen weitreichenden Verzicht der Beteiligten auf prozessuale Rechte darstellt und andererseits eine Prozesshandlung ist, die dem Betrieb des Verfahrens dient und auf dessen Gestaltung einwirken soll (vgl. BSG, Urteil v. 21.12.1961, 9 RV 298/60, Rz. 19; Zeihe, SGG, § 124 Rz. 6; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 124 Rz. 4a; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 101 Rz. 7; a. A. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, § 101 Rz. 5). Nach § 133 BGB ist auch bei der Auslegung einer Erklärung nach § 124 Abs. 2 der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem wörtlichen Ausdruck zu haften. Bei Unklarheiten ist ggf. nachzufragen. Wird der Verzicht mit bestimmten Umständen verknüpft, gilt er als Verzicht unter Vorbehalt und ist damit unwirksam (vgl. BFH, Urteil v. 31.8.2010, VIII R 36/08). Auch wenn das Einverständnis in eine Entscheidung nach § 124 Abs. 2 grundsätzlich bedingungsfeindlich ist, sind innerprozessuale Bedingungen – z. B. Einverständnis für den Fall des Widerrufs eines Widerrufsvergleichs - möglich (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 8.12.2010, L 3R 282/09; Kopp/Schenke, VwGO, § 101 Rz. 5).
Rz. 9
Ei...