Rz. 17
Abgeschlossen ist der Erlass des nicht nach mündlicher Verhandlung ergangenen Urteils erst mit der Zustellung des Urteils. Wirksam (Bindung nach § 202 i. V. m. § 318 ZPO) wird ein solches Urteil mit der Übergabe zur Post zwecks Zustellung (h. M. vgl. BSG, SozR 3-1750 § 551 Nr. 7; für den Fall des § 153 Abs. 4 Satz 2 BSG, Beschluss v. 31.3.2004, B 4 RA 203/03 B; BGH, Urteil v. 1.4.2004, IX ZR 117/03; BVerwGE 58, 146, 148; VGH Hessen, Urteil v. 26.1.2001, 10 UZ 2119/97.A; LSG Rheinland-Pfalz, SGb 1996, 487; Zeihe, § 133 Rz. 3a; Redeker/von Oertzen, § 116 Rz. 7; Kraft, in: Eyermann, § 116 Rz. 26). Maßgeblich ist danach die Abgabe zur ersten Zustellung an einen Beteiligten (vgl. BSG, Urteil v. 12.9.1983, 9a/9 RV 24/8; Wannagat, SGb 1967, 481). Der BGH konkretisiert den maßgebenden Zeitpunkt: Nicht zu verkündende Entscheidungen werden existent und bindend in dem Zeitpunkt, in dem sich das Gericht ihrer in einer der Verkündung vergleichbaren Weise entäußert hat. Das ist noch nicht der Fall, wenn der Geschäftsstellenbeamte die Entscheidung auf den Abtrag gelegt hat, denn er könnte ihn dort wieder wegnehmen. Um eine Bindungswirkung für das Gericht anzunehmen, genügt es auch nicht, dass die Entscheidung bei der Geschäftsstelle abgetragen wurde, damit in der Kanzlei die an die Parteien zu versendenden Ausfertigungen mit den Empfangsbekenntnissen vorbereitet werden. Dies alles gehört nämlich noch zum inneren Geschäftsbetrieb. Erforderlich ist, dass die Entscheidung die Geschäftsstelle mit der unmittelbaren Zweckbestimmung verlassen hat, den Parteien bekannt gegeben zu werden. Das ist z. B. der Fall, wenn der Gerichtswachtmeister eine Ausfertigung bei der Geschäftsstelle abgetragen hat, um sie in das Gerichtsfach eines Prozessbevollmächtigten einzulegen oder zur Post(-stelle) zu geben (vgl. BGH, Urteil v. 1.4.2004, a. a. O., zum nicht zu verkündenden Beschluss). Allerdings kann das Gericht seine Entscheidung bereits dann nicht mehr zurücknehmen oder anders entscheiden (§ 202 SGG i. V. m. § 318 ZPO), wenn die von allen – also auch den ehrenamtlichen – Richtern unterschriebene Urteilsformel entsprechend dem Geschäftsgang an die Geschäftsstelle gelangt ist und diese (im Einvernehmen mit dem Vorsitzenden) den Inhalt der Urteilsformel einem Beteiligten – auch in einem Telefongespräch – (vgl. BSG, Beschluss v. 27.5.2019, B 9 SB 6/19 B, Rz. 4) bekannt gegeben hat. Entsprechendes dürfte für eine Verlautbarung durch den Vorsitzenden/Berichterstatter selbst gelten. Durch die Verlautbarung ist für die Beteiligten jede Ungewissheit darüber, ob und was das Gericht entscheidet, ausgeschlossen; das Gericht kann seine Entscheidung nicht mehr ändern (BSG, SozR 1500 § 124 Nr. 5; Zeihe, SGG, § 124 Rz. 9d; vgl. auch BGH, Beschluss v. 27.10.1999, XII ZB 18/99; offen gelassen in BGH, Urteil v. 1.4.2004, IX ZR 117/03).
Rz. 18
Die Gegenmeinung steht auf dem Standpunkt, Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung i. S. d. "Erlasses", also der Unabänderlichkeit durch das Gericht, könne nicht der Zeitpunkt der Zustellung sein, weil andernfalls das Gericht zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 103 GG gehalten wäre, bis zu diesem Zeitpunkt Äußerungen der Beteiligten zu berücksichtigen, was nicht durchführbar sei. Die Wirksamkeit trete spätestens mit dem gerichtsinternen Vorgang der durch eine Verfügung des Vorsitzenden und einen entsprechenden Vermerk des Urkundsbeamten dokumentierten Übergabe des vollständigen Urteils an die Geschäftsstelle ein (vgl. Dolderer, DVBl. 1999, 1019, 1025; ders., in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 101 Rz. 47).