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Zum Anspruch auf rechtliches Gehör gehört auch, dass hinreichend Zeit zur Äußerung zur Verfügung steht (siehe Rn. 16; BSGE 11 S. 165; BSG, SozR 3-1500 § 117 Nr. 2; BSG, SozR 3-1500 § 62 Nr. 5). Feste Regeln lassen sich dazu kaum aufstellen. Wenn ein Schriftsatz eines Beteiligten erst kurz vor der Sitzung beim Gericht eingeht oder erst in der mündlichen Verhandlung überreicht wird, wird i. d. R. die vollständige Verlesung in der Verhandlung ausreichen (vgl. BVerwG, NVwZ 1989 S. 1154). Gleiches gilt für die häufig zu beobachtende Überreichung eines ärztlichen Attests in der Sitzung. Sieht sich ein anwaltlich vertretener Beteiligter ohne nähere Durchsicht im Termin überreichter Unterlagen nicht imstande, zu ihnen sachgerecht Stellung zu nehmen, obliegt es ihm, in der mündlichen Verhandlung mit einem entsprechenden Antrag auf eine Unterbrechung zu drängen (vgl. BVerwG, Beschluss v. 8.8.2007, 4 BN 35/07). Unter Umständen muss das Gericht vertagen, wenn ein Beteiligter nicht in der Lage ist, zu neuen Tatsachen Stellung zu nehmen. Ob eine Äußerungsfrist nach einer Beweisaufnahme im Termin angemessen ist, richtet sich nach dem Gegenstand der Beweisaufnahme. Handelt es sich um die durch einen medizinischen Sachverständigen vorgenommene Bewertung komplexer und schwieriger medizinischer Befunde und Zusammenhänge, die sich von den Vorgutachten unterscheiden, und ist der betroffene Beteiligte medizinischer Laie, so kann dieser eine sachgerechte Äußerung zu den Beweisergebnissen naturgemäß erst abgeben, wenn er sich entsprechend sachkundig hat beraten lassen. Seinem dementsprechenden Verlangen hat das Gericht zu entsprechen (BSG, SozR 3-1500 § 128 Nr. 1; BSG, SozR 3-1500 § 128 Nr. 14). Maßstab für den Umfang des zu gewährenden rechtlichen Gehörs kann nämlich nicht sein, ob die erkennenden Richter sich durch das in der mündlichen Verhandlung vom Sachverständigen vorgetragene Gutachten so ausreichend unterrichtet fühlen, dass sie im Anschluss daran durch Urteil entscheiden können (BSG, SozR 3-1500 § 128 Nr. 14). Nimmt ein Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung etwa dadurch eine unerwartete Wendung, dass bisher nicht erörterte (evtl. entscheidungserhebliche) Gesichtspunkte auftauchen oder das Gericht den Beteiligten mit einer geänderten Rechtsauffassung entgegentritt, so muss vom Gericht, um Überraschungsentscheidungen zu verhindern, sichergestellt werden, dass sich die Beteiligten zum Prozessstoff äußern können. Dazu ist ihnen angemessene Zeit einzuräumen (vgl. BSG, Beschluss v. 23.10.2003, B 4 RA 37/03 B, Breithaupt 2004 S. 328). Hält ein Beteiligter es für erforderlich, Rat oder Informationen von einem Dritten einzuholen, und ist dies nicht offensichtlich unbegründet, so ist ihm im Regelfall – wie bei einer im Rahmen der Anhörung nach § 24 SGB X gesetzten Frist – eine Frist von 2 Wochen ab Zugang der Mitteilung unter Ausschluss der Postlaufzeiten einzuräumen (vgl. BSG, Beschluss v. 23.10.2003, B 4 RA 37/03 R, Breithaupt 2004 S. 328). Gegenüber der Vorschrift, das gerichtliche Verfahren möglichst in einer mündlichen Verhandlung abzuschließen (Beschleunigungspflicht, § 106 Abs. 2), gebührt dem Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs aus rechtsstaatlichen Gründen der Vorrang (BSG, SozR Nr. 13 zu § 106 SGG; BSG, SozR 3-1500 § 128 Nr. 14; BSG, Urteil v. 11.12.2002, B 6 KA 8/02 R, SGb 2003 S. 152). Es ist Sache des Gerichts, die mündliche Verhandlung durch rechtzeitige Einholung und Übermittlung von Sachverständigengutachten so vorzubereiten, dass die Streitsache ohne Vertagung verfahrensfehlerfrei erledigt werden kann (BSG, SozR 3-1500 § 62 Nr. 5).

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