Rz. 4
Der im sozialgerichtlichen Verfahren geltende Grundsatz der Einheitlichkeit der mündlichen Verhandlung, wonach die mündliche Verhandlung in der Instanz eine Einheit ist, auch wenn sie in verschiedenen Terminen stattgefunden hat (vgl. Rohwer-Kahlmann, § 124 Rz. 4) ist für § 129 ohne Relevanz. Denn "dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung" i. S. d. Vorschrift ist bei mehreren Terminen zur mündlichen Verhandlung stets der letzte (vgl. BVerwG, NJW 1986, 3155; BVerwG, NVwZ 1999, 657; BFH/NV 2011, 615; Zeihe, SGG, § 129 Rz. 4; Kopp/Schenke, VwGO, § 112 Rz. 2). § 129 verlangt daher nicht, dass an allen Terminen dieselben Richter (gemeint sind in § 129 Berufsrichter und – so ausdrücklich § 112 VwGO – ehrenamtliche Richter) teilnehmen. Der Richter kann zwischen Erörterungstermin und Verhandlungstermin, aber auch zwischen 2 Verhandlungsterminen wechseln. Möglich ist ferner, dass ein Richter an der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2, § 126) mitwirkt, der an einer vorangegangenen mündlichen Verhandlung nicht beteiligt gewesen ist (vgl. BSG, SozR Nr. 4 zu § 124; BSG, SozSich 1989, 313). Auch der Richterwechsel zwischen Termin zur Beweisaufnahme und letzter mündlicher Verhandlung ist nicht ausgeschlossen. Der neue Richter muss aber im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung umfassend über das Ergebnis der vorausgegangen mündlichen Verhandlung(en) informiert werden (§ 128). Die Verlesung der Niederschrift über die Beweisaufnahme in einem früheren Termin ist nicht zwingend erforderlich. In der Regel genügt es, wenn der Vorsitzende bzw. Berichterstatter über das Ergebnis der bisherigen Verhandlung und Beweisaufnahme berichtet und die Beteiligten dazu nochmals Stellung nehmen können (vgl. BVerwG, NJW 1986, 3155; BVerwG, NVwZ 1990, 58; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 129 Rz. 2c; Kopp/Schenke, VwGO, § 112 Rz. 4). Die mitwirkenden Richter können insbesondere während der Beratung über alle entscheidungserheblichen Umstände informiert werden. Insofern spricht aufgrund der Bindung des Richters an Recht und Gesetz eine Vermutung dafür, dass ähnlich wie im Falle der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung allen Richtern im Rahmen der Beratung eine vollständige Unterrichtung über den Sach- und Streitstoff zuteil wird (vgl. BVerwG, Beschluss v. 25.6.2010, 9 B 99/09). Das Gericht in seiner neuen Zusammensetzung muss sich nach pflichtgemäßem Ermessen klar werden, ob es sich auf diese Weise hinreichend zuverlässig informieren kann und ob eine neue mündliche Verhandlung bzw. eine Wiederholung der Beweisaufnahme erforderlich ist (vgl. BVerwG, NVwZ 1990, 58, 59). Eine Wiederholung der Beweisaufnahme kann wegen des Grundsatzes der Unmittelbarkeit (§ 117) ausnahmsweise geboten sein, z. B. wenn es entscheidend auf den persönlichen Eindruck ankommt. So ist nach der Rechtsprechung des BSG der Grundsatz der Unmittelbarkeit nur gewahrt und eine sachgerechte Beweiswürdigung nur möglich, wenn sich alle die Entscheidung treffenden Richter einen persönlichen Eindruck von dem Zeugen machen, wenn sie über die Glaubwürdigkeit dieser Person befinden (vgl. BSG, Urteil v. 15.8.2002, B 7 AL 66/01 R m. w. N.). Stützt sich das teilweise anders besetzte Gericht aber nicht auf die Glaubwürdigkeit einer Person, sondern auf objektive Kriterien – wie auf die Widersprüchlichkeit von Aussagen und die Ungenauigkeit oder Nichtnachvollziehbarkeit von Angaben –, vermag dies allein das Vorliegen eines Verfahrensverstoßes nicht zu begründen (vgl. BSG, Beschluss v. 24.2.2004, B 2 U 316/03 B, Rz. 7; BSG, Beschluss v. 15.9.2014, B 14 AS 98/14 B, Rz. 4). Der persönliche Eindruck, den andere Richter einer früheren Verhandlung gewonnen haben, ist nur dann verwertbar, wenn er protokolliert oder auf sonstige Weise aktenkundig ist und sich die Beteiligten dazu äußern konnten (vgl. BSG, Urteil v. 15.8.2002,B 7 AL 66/01 R; BSG, Beschluss v. 24.2.2004, B 2 U 316/03 B; BSG, Beschluss v. 17.8.2006, B 12 KR 79/05 B; BFH, Beschluss v. 28.7.2008, IX B 13/08).