2.2.1 Bedeutung des § 131 Abs. 1 Satz 1 und 2

 

Rz. 7

Wenn durch einen hoheitlichen Eingriff in ein subjektives Recht ein rechtswidriger Zustand geschaffen worden ist, der noch andauert, ist nach allg. Meinung ein Folgenbeseitigungsanspruch gegeben (vgl. Schmidt, in: Eyermann, § 113 Rn. 28). Der Folgenbeseitigungsanspruch, der nicht durch § 131 gewährt, sondern vorausgesetzt wird, ist ein in der Rechtsprechung des BVerwG entwickeltes Rechtsinstitut. Diese einhellig anerkannte, zumeist aus den Grundrechten hergeleitete Anspruchsgrundlage (vgl. dazu etwa Faber, NVwZ 2003 S. 159, 160) kommt grundsätzlich als materiell-rechtlicher Anspruch bei allen Amtshandlungen (auch bei Eingriffen tatsächlicher Art) in Betracht, die rechtswidrige Folgen nach sich gezogen haben, setzt also den Vollzug eines Verwaltungsakts nicht voraus (vgl. z. B. BVerwGE 69 S. 366 ff.; BSGE 76 S. 235; Schmidt, in: Eyermann, § 113 Rn. 29; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 4).

 

Rz. 8

§ 131 Abs. 1 Satz 1 und 2 betreffen aber allein den Fall des vollzogenen Verwaltungsakts. Ihre Bedeutung besteht darin, dass sie die prozessuale Möglichkeit zum Ausdruck bringen, dass die Entscheidung über die Beseitigung der Folgen zusammen mit der Aufhebungsentscheidung ergehen kann, deren Rechtskraft also nicht abgewartet werden muss (vgl. z. B. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 4b; vgl. auch Redeker/von Oertzen, § 113 Rn. 18). Wird die Anfechtungsklage um den Folgenbeseitigungsantrag ergänzt, bedeutet dies keine Klageänderung, sondern eine Klageerweiterung i. S. d. § 99 Abs. 3 Nr. 2, die auch noch in der Revisionsinstanz zulässig ist (vgl. BVerwGE 22 S. 314). In anderen Fällen als dem des vollzogenen Verwaltungsakts (§ 131 Abs. 1 Satz 1 und 2), also wenn es um die Folgen sonstigen rechtswidrigen Verwaltungshandelns geht, muss der Folgenbeseitigungsanspruch selbständig (durch Leistungs- oder Verpflichtungsklage) geltend gemacht werden (vgl. Redeker/von Oertzen, § 113 Rn. 22; Stuhlfauth, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth von Albedyll, § 113 Rn. 44).

2.2.2 Voraussetzungen für die Entscheidung nach § 131 Abs. 1 Satz 1 und 2

 

Rz. 9

Die Voraussetzungen für die Entscheidung nach Abs. 1 Satz 1 und 2 sind:

  • Die Anfechtungsklage muss erfolgreich sein, der Verwaltungsakt (oder Widerspruchsbescheid) wird also – zumindest teilweise – aufgehoben.
  • Der Verwaltungsakt muss schon vollzogen sein.
  • Ferner erforderlich ist ein entsprechender Antrag, obwohl § 131 den Antrag – anders als § 131 Abs. 1 Satz 2 VwGO – nicht nennt. Das Antragserfordernis folgt aus dem Dispositionsgrundsatz (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 131 Rn. 5; Zeihe, § 131 Rn. 11; Peters/Sautter/Wolff, § 131 Anm. 2a; str. a. A. Bolay, in: Lüdtke, SGG, § 131 Anm. 5).
 

Rz. 10

  • Materiell-rechtlich muss ein Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. Rz. 7 f.) bestehen. Der Folgenbeseitigungsanspruch zielt im Falle des § 131 Abs. 1 auf die Rückgängigmachung der Folgen der Vollziehung. Die rechtswidrigen Folgen des Verwaltungshandelns sind dadurch wieder zu beseitigen, dass der vor der Amtshandlung bestehende Zustand "in natura" wiederherzustellen ist (BSGE 76 S. 235; BVerwGE 69 S. 366, 371). Es handelt sich nicht um einen Schadensausgleich, auch wenn sich der Folgenbeseitigungsanspruch auf eine Geldleistung richten kann. Wenn z. B. eine Rente zu Unrecht entzogen worden ist, richtet sich der Folgenbeseitigungsanspruch auf die Auszahlung der vorenthaltenen Rente. In diesen Fällen wird ein Urteilsausspruch nach § 131 Abs. 1 aber üblicherweise nicht begehrt, denn der Rentenversicherungsträger zahlt die geschuldeten Rentenbeträge erfahrungsgemäß unmittelbar nach Rechtskraft des den Entziehungsbescheid aufhebenden Urteils aus.
 

Rz. 11

  • Grundsätzlich sind nur die unmittelbaren Folgen der rechtswidrigen Amtshandlung zu beseitigen, denn nur diese Folgen sind handelnden Behörden bzw. Leistungsträgern dann zuzurechnen, wenn zwischen der Amtshandlung und den Folgen Kausalität besteht. Ein derartiger haftungsbegründender Zusammenhang ist zwar bei allen Folgen einer Amtshandlung gegeben, auf deren Eintritt diese unmittelbar gerichtet war bzw. die aufgrund der Amtshandlung unmittelbar und in Bezug auf die Amtshandlung adäquat eingetreten sind (vgl. BVerwGE 69 S. 372, 373). Erst durch ein Verhalten des Betroffenen, das auf dessen Entschließung beruht, verursachte oder mitverursachte Folgen müssen hingegen dem Zweck des Art. 20 Abs. 3 GG entsprechend nicht beseitigt werden. Muss z. B. der Kläger wegen eines Erstattungsbescheids einen Kredit aufnehmen, um dem Inhalt des Bescheids nachkommen zu können, ist der dadurch entstandene Zinsschaden der Beklagten als mittelbarer Schaden nicht zuzurechnen (BSGE 76 S. 235, 239; vgl. auch BVerwGE 69 S. 372 ff.; Broß, VerwArchiv 1985 S. 217). Das schließt selbstverständlich eine Verzinsungspflicht nach § 44 SGB I oder § 27 SGB IV nicht aus (vgl. z. B. Zeihe, § 131 Rn. 5c).
 

Rz. 12

  • Die Behörde muss zur Folgenbeseitigung imstande sein. Ist die Naturalrestitution tatsächlich oder rechtlich nicht möglich, scheidet ein Folgenbeseitigungsanspruch aus (vgl. Faber, NVwZ 2003 S. 159, 163). Di...

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