2.7.2.1 Isolierte Anfechtungsklage
Rz. 42
Die mit § 131 Abs. 5 in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes v. 24.8.2004 (§ 131 Abs. 5 a. F.) erstmals eröffnete Aufhebung des Verwaltungsakts für den Fall bestimmter Ermittlungsdefizite war auf die Situation der isolierten Anfechtungsklage zugeschnitten, weil deren Rechtsschutzziel auf die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts geht und sich nur bei dieser Klageart darin erschöpft. In seiner ursprünglichen Fassung entsprach der Wortlaut des § 131 Abs. 5 Satz 1 dem des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO, der nach ganz h. M., insbesondere ständiger Rechtsprechung des BVerwG, nur für die Anfechtungsklage gilt und für die Verpflichtungsklage auch nicht entsprechend anwendbar ist (vgl. BVerwG, Urteil v. 6.7.1998, 9 C 45/97; BVerwG, Beschluss v. 8.12.2000, 9 B 426/00; BVerwG, Beschluss v. 14.6.1999, 7 B 332/98; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rz. 55; Jabobj, Spruchreife und Streitgegenstand im Verwaltungsprozess, S. 463 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rz. 166; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113 Rz. 24; Stelkens, NVwZ 1991, 216; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 113 Rz. 364; a. A. Schmidt, in: Eyermann/Fröhler, VwGO, § 113 Rz. 40; Hödl-Adick, Die Bescheidungsklage als Erfordernis eines interessengerechten Rechtsschutzes, S. 208 ff., 215). In diesem Sinne hat auch das BSG § 131 Abs. 5 in der bis zum 31.3.2008 geltenden a. F. ausgelegt (BSG, Urteil v. 17.4.2007, B 5 RJ 30/05 R, mit zustimmender Anm. Humpert, SGb 2008, 250 ff.; ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.4.2005, L 17 U 285/04; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.12.2005, L 4 RJ 69/05; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.1.2006, L 13 R 224/05; Bienert, Der neue Absatz 5 des § 131 SGG, SGb 2005, 84; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, S. 251; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/KellerLeitherer, 8. Aufl., SGG, § 131 Rz. 18; Rohwer/Kahlmann, SGG, § 131 Rz. 26; a. A. z. B. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 11.5.2005, L 8 RJ 141/04; LSG Sachsen, Urteil v. 26.10.2005, L 6 SB 47/05; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 14.6.2006, L 4 SB 24/06; Zeihe, SGG, § 131 Rz. 27a). Bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage oder Verpflichtungsklage würde bei einer bloßen Kassation des ablehnenden Bescheids der Leistungs- oder Verpflichtungsantrag rechtshängig bleiben, obwohl das Gericht (nach damaliger Fassung der §§ 130 und 131 Abs. 2) auch über diese Anträge zu entscheiden hätte. Die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts wegen unzureichender Ermittlungen im Verwaltungsverfahren war danach nur bei der reinen Anfechtungsklage möglich.
Mit der Änderung der Abs. 5 und 2 durch Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) v. 26.3.2008 (BGBl. I S. 444) wurde durch die Formulierung "in den Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4" der Anwendungsbereich dieser Regelung ab 1.4.2008 auf alle Fälle des § 54 Abs. 1 und 4 ausgedehnt, so dass nunmehr die "Zurückverweisung an die Verwaltung" auch in der Situation der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage und Verpflichtungsklage in Betracht kommt (vgl. dazu Rz. 46). In Abs. 5 Satz 1 wurde durch Art. 8 des Gesetzes v. 21.12.2008 (BGBl. I S. 2933) die Formulierung "in den Fällen des § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4" gestrichen und durch die Verschiebung der bis dahin in Abs. 2 Satz 2 getroffenen Regelung wurde zur Bereinigung eines "Redaktionsversehens" (so: BR-Drs. 544/08 S. 31 zu Nr. 2 § 131) in Abs. 5 Satz 2 ersetzt. Dessen 2. Halbsatz bezieht sich nur auf die in dem 1. Halbsatz angesprochenen Fälle des § 54 Abs. 1 und Abs. 4 (vgl. BR-Drs. 544/08 S. 31 zu Nr. 2).
2.7.2.2 Erforderlichkeit weiterer Sachaufklärung, Sachdienlichkeit
Rz. 43
Die Sache darf nicht spruchreif sein. Wenn bei der reinen Anfechtungsklage feststeht, dass der angefochtene Verwaltungsakt z. B. wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig ist, ist für eine "Zurückverweisung" nach Abs. 5 kein Raum. Es müssen noch Ermittlungen erforderlich sein, die nach Art und Umfang erheblich sind, und die Aufhebung des Verwaltungsakts muss auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich sein. Wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 131 Abs. 5 a. F. ausgeführt wird, nach Beobachtungen der Praxis werde die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führe (vgl. die Begründung der Bundesregierung zu Art. 8 Nr. 1, § 131, BT-Drs. 15/1508 S. 29), kann daraus weder geschlossen werden, dass jede Verletzung der Amtsermittlungspflicht der Behörde die Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 131 Abs. 5 rechtfertige, noch dass ein Verfahrensfehler der Behörde Voraussetzung sei, was auch bei § 113 Abs. 3 VwGO und § 100 Abs. 3 FGO unstreitig nicht der Fall ist (anders noch § 100 Abs. 2 Satz 2 a. F. FGO). Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale kann wegen des übereinstimmenden Wortlauts der Vorschriften, der identischen Wurzel (§ 124 Abs. 3 E-VwPO) und weil die Gesetzesbegründung § 113 Abs. ...