Rz. 43
Die Sache darf nicht spruchreif sein. Wenn bei der reinen Anfechtungsklage feststeht, dass der angefochtene Verwaltungsakt z. B. wegen eines Ermessensfehlers rechtswidrig ist, ist für eine "Zurückverweisung" nach Abs. 5 kein Raum. Es müssen noch Ermittlungen erforderlich sein, die nach Art und Umfang erheblich sind, und die Aufhebung des Verwaltungsakts muss auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich sein. Wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 131 Abs. 5 a. F. ausgeführt wird, nach Beobachtungen der Praxis werde die erforderliche Sachverhaltsaufklärung von den Verwaltungsbehörden zum Teil unterlassen, was zu einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung auf die Gerichte führe (vgl. die Begründung der Bundesregierung zu Art. 8 Nr. 1, § 131, BT-Drs. 15/1508 S. 29), kann daraus weder geschlossen werden, dass jede Verletzung der Amtsermittlungspflicht der Behörde die Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 131 Abs. 5 rechtfertige, noch dass ein Verfahrensfehler der Behörde Voraussetzung sei, was auch bei § 113 Abs. 3 VwGO und § 100 Abs. 3 FGO unstreitig nicht der Fall ist (anders noch § 100 Abs. 2 Satz 2 a. F. FGO). Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale kann wegen des übereinstimmenden Wortlauts der Vorschriften, der identischen Wurzel (§ 124 Abs. 3 E-VwPO) und weil die Gesetzesbegründung § 113 Abs. 3 VwGO (und § 100 Abs. 3 FGO) als Vorbild des § 131 Abs. 5 bezeichnet, auf die Begründung des § 113 Abs. 3 VwGO zurückgegriffen und die Rechtsprechung des BVerwG herangezogen werden. Das BVerwG führt insoweit im Urteil v. 18.11.2002 (9 C 2/02) unter Hinweis auf BT-Drs. 11/7030 (S. 30) zu § 113 Abs. 3 VwGO aus, im Spannungsverhältnis zwischen dem öffentlichen Interesse an einer Entlastung der Gerichte von umfangreichen Sachverhaltsermittlungen und dem Bedürfnis der Beteiligten nach einer abschließenden und verbindlichen gerichtlichen Beurteilung des Rechtsstreits solle nach den die Vorschrift tragenden Vorstellungen des Gesetzgebers das Interesse an einer Entlastung der Justiz nur in besonders gelagerten Fällen überwiegen. Deshalb seien die hierfür genannten Tatbestandsvoraussetzungen eng auszulegen: Nur dann, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung eine Sachverhaltsermittlung besser durchführen kann als das Gericht und es auch unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerecht ist, die Behörde tätig werden zu lassen, solle die Vorschrift heranzuziehen sein. Dieser Maßstab ist auch im Rahmen des § 131 Abs. 5 anzulegen, da es sich um eine Ausnahmevorschrift handelt, die nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 11/7030 S. 29 und BT-Drs. 10/3437 S. 133 zu § 124 VwPO) nur in besonders gelagerten Fällen Anwendung finden soll (vgl. BSG, Urteil v. 17.4.2007, B 5 RJ 30/05 R, Rz. 19, und LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.3.2010, L 8 R 145/09; a. A. - gegen eine restriktive Auslegung: Hauck, in: Hennig, SGG, § 131 Rz. 187). Die sich für das SG stellende Notwendigkeit, wegen eines Ermittlungsdefizits seitens der Behörde Befund- und Behandlungsberichte oder ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, rechtfertigt daher die Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 131 Abs. 5 i. d. R. nicht schon (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 113 Rz. 48; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 17.3.2010, L 8 R 145/09; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 5.5.2011, L 7 SB 54/09; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.1.2009, L 4 R 1519/08). Nicht ausreichend ist ferner, dass noch einige Zeugen zu vernehmen sind (vgl. die Begründung zu § 124 Abs. 3 E-VwPO). Das Gericht muss bei seiner Abwägung auch die voraussichtliche Dauer der gerichtlichen und einer behördlichen Sachverhaltsermittlung sowie die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten berücksichtigen (BFH, Urteil v. 25.7.2000, VIII R 32/99; BVerwG, Urteil v. 18.11.2002, 9 C 2/02). Sachdienlichkeit ist z. B. nicht gegeben, wenn das Gericht nach eigenen Ermittlungen oder Berechnungen voraussichtlich bald in der Lage ist, die Sache abschließend und verbindlich in der Sache zu entscheiden, während bei einer bloßen Aufhebung des Verwaltungsakts die Gefahr eines neuen jahrelangen Rechtsstreits mit erheblichem Kostenrisiko für die Beteiligten droht (vgl. BVerwG, Urteil v. 18.11.2002, 9 C 2/02). Die Behörde wird die Aufhebung ihres Verwaltungsakts nach Abs. 5 verhindern können, wenn sie ihren Fehler frühzeitig bemerkt und die erforderlichen Ermittlungen rechtzeitig nachholt (Nachschieben von Gründen), denn dann würde der von § 131 Abs. 5 Satz 1 vorausgesetzte Ermittlungsbedarf für das Gericht fehlen. Diese Möglichkeit dürfte angesichts der 6-Monatsfrist aber eine theoretische bleiben.