2.1 Anwendungsbereich
Rz. 2
§ 138 Abs. 1 nennt zwar nur das Urteil, die Vorschrift ist aber auch auf den Gerichtsbescheid (§ 105) und gemäß § 142 auch auf Beschlüsse anwendbar, soweit diese nicht ohnehin wie Verfügungen frei abänderbar sind, weil sie nicht der Bindung nach § 318 ZPO (i. V. m. § 202 SGG) unterliegen. Das Protokoll wird nicht nach § 138 berichtigt, sondern gemäß § 122 SGG i. V. m. § 164 ZPO von Richter und Urkundsbeamten gemeinsam (§ 164 Abs. 3 ZPO). Ein protokollierter gerichtlicher Vergleich (§ 101) kann nur durch eine Berichtigung der Niederschrift (§ 202 SGG i. V. m. § 164 ZPO) berichtigt werden (so für § 106 Satz 1 VwGO Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 118 Rz. 37; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 118 Rz. 2; wie hier Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl., SGG, § 138 Rz. 2; a. A. BayLSG, Beschluss v. 29.9.2008, L 13 B 659/08 B unter Bezugnahme auf Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl., SGG, § 138 Rz. 2). Seit dem Inkrafttreten des § 38 SGB X ist § 138 nicht mehr (entsprechend) auf Verwaltungsakte anwendbar (vgl. BSG, SozR 3-1300 § 38 Nr. 1). Soweit im Urteil ein Anspruch eines Beteiligten oder die Kostenentscheidung ganz oder teilweise übergangen worden ist, kommt eine Ergänzung des Urteils nach § 140 in Betracht (vgl. die dortige Kommentierung).
Rz. 3
Gemeint ist in § 138 stets die Unrichtigkeit im Original, also in der Urschrift. Weicht die Ausfertigung – z. B. durch fehlerhafte Übertragung – von der Urschrift ab, wird sie durch den Urkundsbeamten analog § 138 (vgl. Komm. in Rz. 3 zu § 137 und Zeihe, SGG, § 137 Rz. 5b; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 138 Rz. 2) bzw. gemäß § 317 ZPO (Kopp/Schenke, VwGO, § 118 Rz. 4) oder formlos (Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 118 Rz. 2) berichtigt. Abschriften werden nicht zurückgefordert, stattdessen wird eine korrigierte Abschrift übersandt (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 138 Rz. 2).
2.2 Unrichtigkeit
2.2.1 Begriff
Rz. 4
Bei der Unrichtigkeit darf es sich nicht um einen auf einer unrichtigen Tatsachenwertung oder auf einem Rechtsirrtum beruhenden Fehler in der Willensbildung des Gerichts handeln (ausführlich dazu BGH, Urteil v. 10.3.1983, III ZR 135/82; vgl. auch BSG, Beschluss v. 6.3.2012, B 1 KR 43/11 B, Rz. 5). Denn die Berichtigung ist kein Mittel zur Änderung einer nachträglich als unrichtig erkannten Entscheidung (BSG, SozR 1500 § 164 Nr. 33). Eine Berichtigung nach § 138 kann nur dazu führen, dass der Inhalt des Urteils an den offenkundigen Erklärungswillen des Gerichts angepasst wird (vgl. BFH, Beschluss v. 6.10.2010, I R 12/09). Berichtigungsfähig sind daher ausschließlich die einem "mechanischen Versehen" gleich zu erachtenden Erklärungsmängel oder Fehler im Ausdruck des Willens, die zu dem Erklärungswillen erkennbar in Widerspruch stehen (vgl. BSGE 15, 96, 98; BSGE 24, 203, 204; BSGE 46, 34, 39; BSGE 49, 51, 54). Das Gesetz selbst nennt als Fallbeispiele Schreibfehler und Rechenfehler. Das heißt indes einerseits nicht, dass jeder Rechtschreibfehler (etwa ein bloßer "Buchstabendreher") in einem Urteil notwendig zu berichtigen wäre, es sei denn, durch diesen Fehler würde dem Ausdruck ein anderer Sinn gegeben. Denn der mit der Berichtigung nach § 138 für alle Beteiligten verbundene Aufwand lässt ohne Weiteres erkennen, dass sich die Berichtigung auf solche Urteile beschränken soll, die Schreibfehler aufweisen, die für die Auslegung des Urteils von Bedeutung sein können, weil sie die Gefahr von Missverständnissen in sich bergen (vgl. auch Zeihe, § 138 Rn. 1c). Andererseits ist die Vorschrift schon aus prozesswirtschaftlichen Gründen weit auszulegen, zumal ihre Anwendung in der Sache den besseren Richterspruch bringt (vgl. zu § 319 ZPO BGH, Urteil v. 12.1.1984, III ZR 95/82). Sie lässt sich insbesondere nicht auf bloße Formulierungsfehler beschränken. Im Beschluss v. 6.3.2012 (B 1 KR 43/11 B, Rz. 5) verwendet das BSG den Begriff "Artikulierungsfehler".
Rechenfehler sind solche Fehler, die mathematisch unrichtig sind, z. B. auch "Zahlendreher". Bereits nach ihrem Wortlaut betrifft § 138 nicht nur die ausdrücklich genannten Schreib- und Rechenfehler, sondern erstreckt sich auch auf "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten", die mit den im Gesetz genannten Schreib- und Rechenfehlern vergleichbar sein müssen. Selbst die wörtlich aufgeführten Rechenfehler gehen meist nicht nur auf bloße Formulierungsfehler zurück (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 319 Rz. 5). Eine scharfe Grenze zwischen bloßen Versehen bei der Formulierung und anderen offenbaren Irrtümern, die dem Richter vorher bei der Urteilsfindung unterlaufen sind, lässt sich schon deshalb nicht ziehen, weil sich diese nicht in der Formulierung der Entscheidung erschöpft (vgl. BGH, Urteil v. 12.1.1984, III ZR 95/82).
2.2.2 Offensichtlichkeit ("offenbar")
Rz. 5
Die Berichtigung einer Unrichtigkeit kommt nach § 138 nur in Betracht, wenn sie offenbar ist. Eine Unrichtigkeit ist offenbar, wenn die Unrichtigkeit sich aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder aus den Vorgängen bei seiner V...