2.2.1 Begriff
Rz. 4
Bei der Unrichtigkeit darf es sich nicht um einen auf einer unrichtigen Tatsachenwertung oder auf einem Rechtsirrtum beruhenden Fehler in der Willensbildung des Gerichts handeln (ausführlich dazu BGH, Urteil v. 10.3.1983, III ZR 135/82; vgl. auch BSG, Beschluss v. 6.3.2012, B 1 KR 43/11 B, Rz. 5). Denn die Berichtigung ist kein Mittel zur Änderung einer nachträglich als unrichtig erkannten Entscheidung (BSG, SozR 1500 § 164 Nr. 33). Eine Berichtigung nach § 138 kann nur dazu führen, dass der Inhalt des Urteils an den offenkundigen Erklärungswillen des Gerichts angepasst wird (vgl. BFH, Beschluss v. 6.10.2010, I R 12/09). Berichtigungsfähig sind daher ausschließlich die einem "mechanischen Versehen" gleich zu erachtenden Erklärungsmängel oder Fehler im Ausdruck des Willens, die zu dem Erklärungswillen erkennbar in Widerspruch stehen (vgl. BSGE 15, 96, 98; BSGE 24, 203, 204; BSGE 46, 34, 39; BSGE 49, 51, 54). Das Gesetz selbst nennt als Fallbeispiele Schreibfehler und Rechenfehler. Das heißt indes einerseits nicht, dass jeder Rechtschreibfehler (etwa ein bloßer "Buchstabendreher") in einem Urteil notwendig zu berichtigen wäre, es sei denn, durch diesen Fehler würde dem Ausdruck ein anderer Sinn gegeben. Denn der mit der Berichtigung nach § 138 für alle Beteiligten verbundene Aufwand lässt ohne Weiteres erkennen, dass sich die Berichtigung auf solche Urteile beschränken soll, die Schreibfehler aufweisen, die für die Auslegung des Urteils von Bedeutung sein können, weil sie die Gefahr von Missverständnissen in sich bergen (vgl. auch Zeihe, § 138 Rn. 1c). Andererseits ist die Vorschrift schon aus prozesswirtschaftlichen Gründen weit auszulegen, zumal ihre Anwendung in der Sache den besseren Richterspruch bringt (vgl. zu § 319 ZPO BGH, Urteil v. 12.1.1984, III ZR 95/82). Sie lässt sich insbesondere nicht auf bloße Formulierungsfehler beschränken. Im Beschluss v. 6.3.2012 (B 1 KR 43/11 B, Rz. 5) verwendet das BSG den Begriff "Artikulierungsfehler".
Rechenfehler sind solche Fehler, die mathematisch unrichtig sind, z. B. auch "Zahlendreher". Bereits nach ihrem Wortlaut betrifft § 138 nicht nur die ausdrücklich genannten Schreib- und Rechenfehler, sondern erstreckt sich auch auf "ähnliche offenbare Unrichtigkeiten", die mit den im Gesetz genannten Schreib- und Rechenfehlern vergleichbar sein müssen. Selbst die wörtlich aufgeführten Rechenfehler gehen meist nicht nur auf bloße Formulierungsfehler zurück (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 319 Rz. 5). Eine scharfe Grenze zwischen bloßen Versehen bei der Formulierung und anderen offenbaren Irrtümern, die dem Richter vorher bei der Urteilsfindung unterlaufen sind, lässt sich schon deshalb nicht ziehen, weil sich diese nicht in der Formulierung der Entscheidung erschöpft (vgl. BGH, Urteil v. 12.1.1984, III ZR 95/82).
2.2.2 Offensichtlichkeit ("offenbar")
Rz. 5
Die Berichtigung einer Unrichtigkeit kommt nach § 138 nur in Betracht, wenn sie offenbar ist. Eine Unrichtigkeit ist offenbar, wenn die Unrichtigkeit sich aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder aus den Vorgängen bei seiner Verkündung ergibt und ohne Weiteres deutlich erkennbar ist (vgl. BGH, NJW 1993, 1400). Der Fehler im Ausdruck des Gewollten muss als solcher auch einem verständigen Außenstehenden klar oder ohne Weiteres erkennbar sein (vgl. BSG, Urteil v. 15.10.1987, 1 RA 57/85, Rz. 15; BGH, NJW 1985, 742). Die Unrichtigkeit muss also "auf der Hand liegen" (vgl. Gräber/von Groll, § 108 Rn. 5). Bereits Zweifel dahingehend, dass die Unrichtigkeit möglicherweise auf einer unrichtigen Tatsachenwertung oder auf einem Rechtsirrtum beruht, schließen die Möglichkeit einer Berichtigung aus (BSGE 11, 146, 148; BSGE 15, 96, 99; BSG, SozR Nr. 37 zu § 150 SGG; BSG, SozR Nr. 36 und 48 zu § 77 SGG; BSGE 24, 203, 204; BSG, SozR Nr. 81 zu § 77 SGG). Zur Abgrenzung eines reinen Eingabefehlers bei der Verwendung von Computerprogrammen für die Berechnung des Versorgungsausgleichs von einem Fehler in der Rechtsanwendung vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss v. 1.6.2004, 6 UF 2/04, OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, 776 und OLG Bamberg, FamRZ 1998, 764. Ein gerichtsintern gebliebenes Versehen, das meist nicht ohne weitere Beweiserhebung überprüft werden kann, ist keine "offenbare Unrichtigkeit" i. S. d. § 138 (vgl. zu § 319 ZPO: BGHZ 20, 188, 192). Eine irrtümliche Verwendung von Rechtsbegriffen kann eine offenbare Unrichtigkeit sein (vgl. Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 118 Rz. 8 m. w. N.). Auch die nach der Verkündung des Urteils gefassten Entscheidungsgründe können zur Überprüfung des Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit hinzugezogen werden (vgl. BSG, Beschluss v. 13.4.2000, B 7 AL 222/99 B, Rz. 10).
2.2.3 Berichtigungsfähige Teile des Urteils
Rz. 6
Die Unrichtigkeit kann sich auf alle Teile des Urteils beziehen (wegen der Berichtigung eines Leitsatzes zu einem Beschluss des BVerfG vgl. Stricker, NJW 1996, 440). Berichtigt werden können nach § 138 daher Rubrum, Tenor einschließlich der Kostenentscheidung und des Ausspruchs über die Rechtsmittelzulassung, Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung.
Rz. ...