2.1.1 Gegenstand der Berichtigung: "Andere" Unrichtigkeiten des Tatbestands
Rz. 2
Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 139 erfasst nur Unrichtigkeiten des Tatbestands, nicht des Rubrums, des Tenors oder der wertenden Ausführungen eines Urteils. Zum Tatbestand i. S. d. Vorschrift (vgl. auch Rz. 7 bis 11 zu § 136) gehören alle tatsächlichen Feststellungen des Gerichts, mögen sie im Tatbestand oder auch in den Entscheidungsgründen enthalten sein (allg. M. vgl. BGH, NJW 1993, 1851; BVerwG, Urteil v. 16.10.1984, 9 C 67/83, Rz. 9; BVerwG, Urteil v. 21.9.2000, 2 C 5/99; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 119 Rz. 1; Zeihe, SGG, § 139 Rz. 2b). Berichtigt werden können nach § 139 (nur) "andere" Unrichtigkeiten und Unklarheiten des Tatbestands, also solche, die nicht nach § 138 korrigiert werden können, weil sie nicht offenbar sind oder keine bloßen Erklärungsmängel bzw. keine Fehler im Ausdruck des Willens sind, die zu dem Erklärungswillen erkennbar in Widerspruch stehen (zur Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten vgl. Komm. in Rz. 4 ff. zu § 138). § 320 ZPO nennt als korrigierbare Unrichtigkeiten Auslassungen, Dunkelheiten und Widersprüche. Eine Auslassung ist gegeben, wenn ein entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten übergangen worden ist (vgl. BVerwG, NvwZ 1993, 62; Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 119 Rz. 8). Keine Auslassung liegt vor, soweit die Wiedergabe der Einzelheiten durch eine zulässige Bezugnahme im Tatbestand ersetzt worden ist (vgl. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 119 Rz. 4). Unrichtigkeiten, Dunkelheiten usw. liegen nicht vor, wenn das Parteivorbringen zwar nicht wörtlich, aber sinngemäß zutreffend wiedergegeben ist (Zöller, ZPO, § 320 Rz. 4). Bei § 139 kommt es nicht auf das Auseinanderfallen von Willen und Erklärung an, korrigierbar sind auch Unrichtigkeiten, die auf Denkfehlern beruhen (vgl. Mey, 533). Fraglich ist, ob auch offenbare Unrichtigkeiten des Tatbestands i. S. d. § 138 nach § 139 berichtigt werden können (offen gelassen bei Mey, a. a. O.; verneinend Redeker/von Oertzen, VwGO, § 119 Rz. 2; Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 119 Rz. 4), dies sind aber keine "anderen Unrichtigkeiten", für eine Anwendung von § 139 neben § 138 besteht daher kein Anlass. Weil der Tatbestand gemäß § 136 Abs. 1 Nr. 5 nur gedrängt darzustellen ist, ist die Tatbestandsberichtigung als unbegründet abzulehnen, wenn das Ergänzungsbegehren beiläufige Bemerkungen oder andere für die Entscheidung unwesentliche Punkte betrifft (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 139 Rz. 2c; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 319 Rz. 2; Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 119 Rz. 8). Nicht berichtigt werden ferner Rechtsausführungen der Beteiligten im Tatbestand (vgl. Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 139 Rz. 7; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 139 Rz. 2c; Kilian, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 119 Rz. 8) oder Fehler, die offensichtlich in keiner Hinsicht Bedeutung haben können (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 320 Rz. 2; unzulässig, weil kein Rechtsschutzbedürfnis).
2.1.2 Berichtigung nur soweit der Tatbestand verstärkte Beweiskraft nach § 314 ZPO hat?
Rz. 3
Zweifelhaft ist, ob die Berichtigungsmöglichkeit sich ausschließlich auf solche tatsächlichen Feststellungen bezieht, denen verstärkte Beweiskraft gemäß § 314 ZPO zukommt. Das ist nach der Rechtsprechung des BGH der Fall. Danach unterliege der Tatbestand nur der Berichtigung, soweit ihm eine urkundliche Beweiskraft nach § 314 ZPO zukomme (vgl. BGH, Urteil v. 14.7.1994, IX ZR 193/93; BGH, Beschluss v. 9.11.1994, IV ZR 294/93; BGH, Beschluss v. 3.11.1998, VI ZR 205/97; BGH, Beschluss v. 2.12.2015, VII ZB 48/13, Rz. 1; vgl. auch BayObLG, MDR 1989, 650; OLG Köln, MDR 1988, 870; Feskorn, in: Zöller, ZPO, § 320 Rz. 1 und 4; Musielak, in: MüKo, ZPO, § 320 Rz. 4). Diese besondere Beweiskraft habe der Tatbestand nach § 314 ZPO aber nur für das mündliche Parteivorbringen. Durch § 320 ZPO solle verhindert werden, dass unrichtig wiedergegebener Parteivortrag infolge der Beweiskraft zur fehlerhaften Entscheidungsgrundlage des Rechtsmittelgerichts wird (vgl. Vollkommer, in: Zöller, a. a. O., Rz. 1). Dies treffe für das bloße Prozessgeschehen nicht zu. Für dieses entfalte der Tatbestand lediglich die Wirkung einer öffentlichen Urkunde gemäß § 418 ZPO, deren Unrichtigkeit durch jedes Beweismittel nachgewiesen werden könne (vgl. BGH, Urteil v. 14.7.1994, IX ZR 193/93).
Rz. 4
Nach anderer Ansicht soll § 320 ZPO nicht nur die Richtigstellung des unrichtig beurkundeten Parteivorbringens (§ 314 ZPO), sondern auch des sonstigen Prozessstoffes ermöglichen (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 320 Rz. 1 m. w. N.). Die Beweiskraft nach § 418 ZPO soll danach genügen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 320 Rn. 1). Das BVerwG betont etwa, dass der Tatbestand nicht nur nach § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefere, sondern gemäß § 418 ZPO auch vollen Beweis für die darin bezeugten eigenen Wahrnehmungen oder Handlungen des Gerichts erbringe (vgl. BVerwG, NVwZ 1985, 337, 338). Diese Auffassung vertreten für den Verwaltungsprozess etwa Kopp/Schenke (VwGO, § 119 Rz. 2) und Clausing, in: Schoch/...