Rz. 5
Konsequenz aus der h. M. für den Sozialgerichtsprozess (s. o.) ist, dass im Grundsatz eine Tatbestandsberichtigung ausgeschlossen ist, wenn das Urteil nach § 124 Abs. 2 oder § 126 ergangen ist, ohne dass eine mündliche Verhandlung vorausgegangen ist (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 139 Rz. 2c; Zeihe, SGG, § 139 Rz. 4; Bolay, in: Lüdtke, SGG, § 139 Rz. 3). Das Gleiche gilt für den Gerichtsbescheid. In beiden Fällen hat der Tatbestand keine Beweisfunktion für das mündliche Parteivorbringen (§ 314 ZPO). Anders soll es in Fällen zu sehen sein, in denen eine mündliche Verhandlung an einem anderen Terminstag oder ein Erörterungstermin oder ein Beweistermin dem Urteil nach § 124 Abs. 2, § 126, dem Gerichtsbescheid nach § 105 oder einem Beschluss nach § 153 Abs. 4 oder § 158 vorausgegangen ist (vgl. Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 139 Rz. 5; Bolay, in: Lüdtke, SGG, § 139 Rz. 3; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 139 Rz. 1a; Schütz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 139 Rz. 11; Stackmann, NJW 2009, 1537). Weil nach § 139 Abs. 2 Satz 3 am Beschluss nur die Richter mitwirken, die beim Urteil mitgewirkt haben, und es auf deren Erinnerung ankommt, kann das nur bei Identität der an dem Urteil ohne mündliche Verhandlung beteiligten Richter mit den an der früheren mündlichen Verhandlung beteiligt gewesenen Richter in Betracht kommen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 139 Rz. 1a). Im Regelfall ist das wesentliche Parteivorbringen aus Erörterungstermin, Beweistermin oder früherer mündlicher Verhandlung ohnehin zu protokollieren gewesen, so dass es nicht bloßes mündliches Parteivorbringen geblieben ist. Das Protokoll geht dem Tatbestand vor (§ 202 i. V. m. § 314 Satz 2 ZPO). Vom Standpunkt der Gegenmeinung (s. o. Rz. 4) ergibt sich demgegenüber (für den Verwaltungsprozess) ohne weiteres die Möglichkeit der Tatbestandsberichtigung auch bei im schriftlichen Verfahren ergangenen Urteilen und bei Gerichtsbescheiden (vgl. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 119 Rz. 1).
Während nach § 122 Abs. 1 VwGO im Verwaltungsprozess die Vorschrift des § 119 über die Tatbestandsberichtigung auch für Beschlüsse gilt, nennt § 142 den § 139 nicht. Streitig ist deshalb, ob bei Beschlüssen im Sozialgerichtsprozess eine Tatbestandsberichtigung möglich ist (bejahend für Beschlüsse nach mündlicher Verhandlung: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 139 Rz. 1a; Wolff-Dellen, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 139 Rz. 5; bejahend für Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 139 Rz. 60; a. A. Zeihe, SGG, § 142 Rz. 11a; Rohwer-Kahlman, SGG, § 142 Rz. 3). Eine Tatbestandsberichtigung bei Berichtigungsbeschlüssen sollte in jedem Falle ausgeschlossen sein, weil ansonsten ggf. der Weg zu einer (unendlichen) Kette von Berichtigungsverfahren eröffnet würde (vgl. Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 139 Rz. 60, 58; BGH, MDR 1988, 389). Eine Berichtigung gemäß § 138 eines nach § 139 ergangenen Berichtigungsbeschlusses ist jedoch möglich (vgl. Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 320 Rz. 15a; BGH, MDR 1988, 389).
Rz. 6
Auch auf die Frage, ob und inwieweit der Tatbestand eines Revisionsurteils nach § 139 berichtigt werden kann, wirkt sich letztlich der Streit darüber aus, ob eine Berichtigung nur soweit in Betracht kommt, als die verstärkte Beweiskraft nach § 314 ZPO besteht (s. o.). Die Bedeutung dieses Streits – wie der Tatbestandsberichtigung selbst – ist aber für Revisionsurteile geringer, weil im Grundsatz das Revisionsgericht die Tatsachen nicht selbst feststellt, sondern nur darlegt, von welchen von den Tatsacheninstanzen festgestellten Tatsachen es ausgeht. Herrschender Meinung entspricht, dass die Berichtigung des Tatbestands eines Revisionsurteils jedenfalls nicht in Betracht kommt, soweit der Tatbestand lediglich die für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen zusammenfassend darstellt ("Im Regelfall unzulässig": vgl. z. B. BGH, Beschlüsse v. 20.11.2007, IX ZR 256/06 und v. 13.4.2011, XI ZR 104/09; BFH, Beschluss v. 9.10.2008, VR 45/06 m. w. N.) Die im Tatbestand des Revisionsurteils enthaltene gekürzte Wiedergabe des Parteivorbringens besitzt nämlich nach h. M. keine urkundliche Beweiskraft (vgl. BGH, NJW 1999, 796 m. w. N.; BGH, Beschluss v. 19.6.2004, IV ZR 183/03). Auch fehlt es an einem Rechtsschutzinteresse, da die Entscheidung des Revisionsgerichts keine Bindungswirkung in weiteren angestrebten Verfahren im Amtshaftungsprozess oder vor dem BVerfG hat (BVerwG, Beschluss v. 12.3.2014, 8 C 16/12, Rz. 20 ff.). Ausnahmsweise kann nach der Rechtsprechung des BGH etwas anderes gelten, wenn der unrichtige Teil nach einer Zurückverweisung für das weitere Verfahren wie z. B. bei einer in der Revisionsverhandlung abgegebenen Parteierklärung urkundliche Beweiskraft gemäß § 314 ZPO hat (vgl. BGH, Beschluss v. 22.2.1990, IX ZR 257/88; BGH, Beschluss v. 9.11.1994, IV ZR 294/93; vgl. auch Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 320 Rz. 2; ...