2.4.1 Gesetzesbegründung
Rz. 42
Die Gesetzesbegründung führt zu § 153 Abs. 5 aus (BT-Drs. 16/7716 S. 27):
"Nach § 153 Abs. 4 kann das Landessozialgericht die Berufung gegen ein Urteil durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. Wird hingegen in erster Instanz in Sachen ohne besonderen Schwierigkeitsgrad tatsächlicher oder rechtlicher Art und bei geklärtem Sachverhalt durch den Kammervorsitzenden oder die Kammervorsitzende ohne ehrenamtliche Richter mit Gerichtsbescheid (§ 105) entschieden, ist der Senat des Landessozialgerichts gezwungen, bei diesen einfach gelagerten Verfahren aufgrund mündlicher Verhandlung mit 3 Berufsrichterinnen oder -richtern und 2 ehrenamtlichen Richterinnen oder Richtern zu entscheiden. Es ist sachgerecht, es in diesen Fällen dem Senat zu ermöglichen, durch den oder die Berichterstatter/in – mit den ehrenamtlichen Richter/inne/n – zu entscheiden. Die Entscheidung ergeht aufgrund mündlicher Verhandlung, da die Beteiligten jedenfalls in einer Tatsacheninstanz das Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung haben. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Parteien hierauf ausdrücklich verzichten. Den teilweise aus der gerichtlichen Praxis geäußerten Bedenken gegen die Veränderung der Richterbank, da nicht durchgehend davon ausgegangen werden könne, dass die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 in erster Instanz zutreffend bejaht worden sind, wird dadurch Rechnung getragen, dass die Übertragung auf den Berichterstatter von einem Beschluss des Senats abhängig gemacht wird."
Rz. 43
§ 153 Abs. 5 ist nicht lex specialis zu § 155 Abs. 4 SGG, ermöglicht vielmehr in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, durch Beschluss des Senats die Berufung dem Berichterstatter zu übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet, während nach § 155 Abs. 3 SGG im Einverständnis der Beteiligten der Vorsitzende "auch sonst anstelle des Senats entscheiden kann", womit insbesondere auch eine abschließende Entscheidung über die Berufung durch Urteil gemeint ist. Diese Entscheidungszuständigkeit des Vorsitzenden nach § 155 Abs. 3 SGG geht bei Bestellung eines Berichterstatters nach § 155 Abs. 4 SGG auf Letzteren über. Der Wortlaut der Normen zeigt, dass eine Entscheidung nach § 153 Abs. 5 an andere Voraussetzungen geknüpft ist (z. B. einen Übertragungsbeschluss des Senats) als eine Entscheidung nach § 153 Abs. 3 oder nach § 153 Abs. 3, 4. Beide Entscheidungsformen stehen gleichwertig nebeneinander und sind unterschiedliche Wege zur Beendigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz durch eine Entscheidung unter Vermeidung eines Urteils des Senats in voller Besetzung (vgl. § 33 SGG) nach mündlicher Verhandlung (zutreffend: BSG, Beschluss v. 13.4.2011, B 14 AS 123/10 B).
2.4.2 Kritik
Rz. 44
Die Neuregelung ist wenig geglückt. Sie trägt dem Missstand Rechnung, dass Sozialgerichte in einfach gelagerten Fällen durch Gerichtsbescheid entscheiden konnten, das LSG hingegen gezwungen war, aufgrund mündlicher Verhandlung in voller Besetzung zu entscheiden. Zwar wird das Senatsprinzip durch Abs. 5 noch nicht aufgegeben, da der Berichterstatter immer erst auf der Grundlage eines Senatsbeschlusses tätig werden darf. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass ein erster Schritt in eine Richtung gemacht ist, die sich § 6 VwGO nähert und letztlich droht, auf die in § 348 ZPO festgeschriebene Gesetzeslage (Einzelrichter als Regel, Kammer als Ausnahme) hinauszulaufen. Nach § 6 VwGO soll die Kammer i. d. R. den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat. Das mit der Einfügung des § 153 Abs. 5 verfolgte Ziel hätte man auch anders erreichen können. Hierzu hätte nur geregelt werden müssen, dass der Senat in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG durch Beschluss entscheiden kann. Rechtliche Bedenken im Hinblick auf die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehen dann nicht, wenn dem Unterlegenen in erster Instanz die Möglichkeit eingeräumt wäre, nicht nur in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG, sondern immer mündliche Verhandlung zu beantragen (so § 84 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
2.4.3 Übertragung
Rz. 45
Die Übertragung erfolgt durch Beschluss des Senats. Die Übertragung ist – anders als die Befugnis des Vorsitzenden oder an dessen Stelle des Berichterstatters zu einer Entscheidung nach § 155 Abs. 3, 4 SGG – nicht von der Zustimmung der Beteiligten abhängig. Die Beteiligten sind anzuhören (§ 62 SGG). Das ergibt sich schon daraus, dass die Übertragung weitreichende Folgen für den gesetzlichen Richter hat. Zudem bestimmt § 155 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4, dass der Berichterstatter im Einverständnis mit den Beteiligten entscheiden kann. Auch hier werden die Beteiligten einbezogen. Allein sie haben das Recht, auf Vorschlag des Senats über den gesetzlichen Richter (Senat oder Berichterstatter) zu disponieren. Hieraus lässt si...