2.3.1 Voraussetzungen

 

Rz. 20

Nach § 155 Abs. 3 kann der Vorsitzende bzw. der Berichterstatter (§ 155 Abs. 4) im Einverständnis mit den Beteiligten auch sonst, also bei jeder Entscheidung, anstelle des Senats entscheiden. Das Einverständnis der Beteiligten versetzt den Vorsitzenden (§ 155 Abs. 3) bzw. den Berichterstatter (§ 155 Abs. 4) in die Lage, ausnahmsweise anstelle des ganzen Senats (§ 33 Satz 1) allein über die Berufung zu entscheiden. Zweck des § 155 Abs. 3, 4 ist es, das sozialgerichtliche Verfahren zu straffen und zu beschleunigen, soweit dies für einen angemessenen Rechtsschutz unbedenklich erscheint (BT-Drs. 12/1217 S. 53 zu Art. 7 zu Nr. 9). Die Anwendung des § 155 Abs. 3, 4 hat auf nachprüfbaren, sachlichen Gründen zu beruhen und sich am Zweck der Regelung zu orientieren (BVerfG, Beschluss v. 5.5.1998, l BvL 23/97, NJW 1999 S. 274, 275; BVerfG, Beschluss v. 5.6.1998, 2 BvL 2/97, BVerfGE 98 S. 145, 153). Das Einverständnis der Beteiligten (§ 69) muss vor Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorliegen. Es ist als Prozesshandlung nur bis zur übereinstimmenden Einverständniserklärung frei widerruflich (BGH, Beschluss v. 22.5.2001, X ZR 21/00, NJW 2001 S. 2479). Zu prüfen ist jeweils, ob sich die Erklärungen in der Folgezeit durch eine wesentliche Änderung der dem LSG-Urteil zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage verbraucht haben (vgl. Zeihe, SGG, § 155 Rn. 20c). Die Einverständniserklärung der Beteiligten mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter umfasst nicht das Einverständnis mit einer Entscheidung des Vorsitzenden anstelle des Senats (BSG, Urteil v. 25.10.1995, 5/4 RA 109/94, SozR 3-1500 § 155 Nr. 2). Die Einverständniserklärung kann Beweisanträge hinfällig werden lassen. Hat z. B. der Beteiligte im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 155 Abs. 4 am Terminstag zugestimmt, haben sich alle zuvor gestellten Beweisanträge erledigt (BSG, Beschluss v. 26.6.2002, B 7 AL 288/01 B).

 

Rz. 21

Sofern die Beteiligten nicht auch – gesondert – auf die mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2) verzichtet haben, muss der Vorsitzende/Berichterstatter eine solche durchführen. Wird das Einverständnis zur Entscheidung durch den Vorsitzenden bzw. Berichterstatter in einem Erörterungstermin abgegeben, kann sich die mündliche Verhandlung – durch den Vorsitzenden/ Berichterstatter – unmittelbar anschließen; dies ist im Protokoll kenntlich zu machen (Zeihe, SGG, § 155 Rn. 23a). Ehrenamtliche Richter wirken nicht mit.

2.3.2 Wirkungen

2.3.2.1 Gesetzlicher Richter

 

Rz. 22

Entscheidet das LSG durch den Berichterstatter und liegen die Voraussetzungen hierfür nicht vor, entzieht es den Beteiligten ihrem gesetzlichen Richter. Es liegt ein absoluter Revisionsgrund vor (§ 202 SGG i. V. m. § 547 Nr. l ZPO). Liegen hingegen die Voraussetzungen des Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 vor, muss der Berichterstatter entscheiden. Eine Senatsentscheidung wäre ein Verstoß gegen die funktionelle Zuständigkeit und damit gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 4.1.1996,1 S 3230/95, NVwZ-RR 1997 S. 140; Beschluss v. 4.8.1994, 2 S 1316/94).

2.3.2.2 Entscheidung durch den Senat trotz Einverständnis?

 

Rz. 23

Ob trotz des Einverständnisses die Entscheidung durch den Senat weiterhin möglich bleibt und nach welchen Maßstäben der Vorsitzende bzw. Berichterstatter von seiner "Vollmacht" Gebrauch machen kann, ist im SGG nicht näher geregelt. Diese Frage ist klärungsbedürftig, denn eine Unbestimmtheit verstieße gegen die Garantie des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. l Satz 2 GG. Das etwa wäre dann der Fall, wenn der Berichterstatter angesichts des von den Beteiligten erklärten Einverständnisses mit einer Vorgehensweise nach § 155 Abs. 3 darüber zu entscheiden hat, ob er allein oder der Senat für die Hauptsacheentscheidung zuständig ist. So hat das LSG NRW die Auffassung vertreten, § 155 Abs. 3 berechtige und verpflichte den Berichterstatter nicht dazu, vor einer von den Beteiligten gewünschten Einzelrichterentscheidung die anderen Berufsrichter zu beteiligen; dies würde einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter des Art. 101 GG bedeuten; weder Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesetzeszusammenhang noch Sinn und Zweck des § 155 Abs. 3 ließen eine einschränkende Auslegung der Norm zu (Urteil v. 4.3.2010, L 18 [2] KN 268/09). Dem ist indes schon deswegen nicht zuzustimmen, weil unberücksichtigt bleibt, dass die Entscheidung durch den Berichterstatter auf einem Ausnahmetatbestand beruht und § 155 keiner erweiternden Auslegung zugänglich ist (vgl. auch BSG, Urteil v. 23.8.2007, B 4 RS 2/06 R, SozR 4-1500 § 155 Nr. 1). Das Prinzip ist die Entscheidung nach Maßgabe des § 33; jede Abweichung hiervon bedarf einer besonderen Begründung.

 

Rz. 24

Die Beteiligten ermöglichen durch ihr Einverständnis lediglich eine besondere, § 124 Abs. 2 vergleichbare Verfahrensweise. Die Entscheidungsbefugnis über die Hauptsache verbleibt grundsätzlich beim Senat. Da der Berichterstatter die Sache umfassend bis zur Hauptsacheentscheidung vorbereitet, könnte es zu ei...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge