Rz. 26
Mit der Berufungsrücknahme entfällt die Grundlage für die unselbständige Anschlussberufung (§ 202 i. V. m. § 524 Abs. 4 ZPO). Sie erledigt sich mit der Berufungsrücknahme. Die Rücknahme bewirkt, dass das angefochtene Urteil des SG rechtskräftig wird. Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Berufung innerhalb der Rechtsmittelfrist zurückgenommen wird. Zwar wird die Anschlussberufung auch dann unwirksam, wenn der Anschlussberufungskläger seine Anschlussberufung vor Ablauf der Berufungsfrist eingelegt hat und die bereits anhängige Berufung nunmehr – innerhalb der Berufungsfrist – zurückgenommen wird. Eine gesetzliche Vorgabe dergestalt, dass sich die Anschlussberufung nunmehr in eine selbständige Berufung umwandelt, existiert nicht. Hieraus folgt, dass der Berufungsführer nicht erneut Berufung einlegen kann; indessen ist nicht ausgeschlossen, dass einer der anderen Beteiligten dies innerhalb der Frist macht und dadurch den Rechtskrafteintritt zunächst verhindert. Der Anschlussberufungskläger muss daher innerhalb der Berufungsfrist erklären, dass seine Anschlussberufung nunmehr als Berufung fortgeführt werden soll. Eine Umdeutung der Anschlussberufung in eine selbständige Berufung kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Greift ein Beteiligter das erstinstanzliche Urteil "nur" mittels Anschlussberufung an, bringt er damit zum Ausdruck, dass er gerade keine selbständige Berufung einlegen wollte. Anderes gilt nur, wenn ein entsprechender Parteiwille von vornherein erkennbar war (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 524 Rn. 4 m. w. N.). Überdies stehen selbständige Berufung und Anschlussberufung prozessual in einem Verhältnis des "Mehr" zum "Weniger". Aus dem "Weniger" auf das "Mehr" zu schließen, ist insoweit nicht möglich und widerspricht herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen (zum argumentum a minore ad maius vgl. im Übrigen Kramer, S. 180).
Rz. 27
Die wirksame Rücknahme der unselbständigen Anschlussberufung verwehrt es dem Beteiligten, die Anschlussberufung erneut einzulegen. Auch wenn die Anschlussberufung kein eigentliches Rechtsmittel (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, § 524 Rn. 4 m. w. N.) und nicht an die Einhaltung der Berufungsfrist gebunden ist, kann es einem Beteiligten aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit nicht erlaubt sein, beliebig oft die Anschlussberufung zurückzunehmen und sie dann wieder einzulegen. Der über § 202 entsprechend anwendbare § 524 Abs. 2 Satz 1 ZPO i. d. F. des am 1.1.2002 in Kraft getretenen ZPO-ReformG v. 27.6.2001 (BGBl. I S. 1881) steht dem nicht entgegen. Die dem früheren § 521 Abs. 1 ZPO entsprechende Vorschrift betrifft vor allem den Fall, dass die Anschließung auch dann statthaft ist, wenn der Berufungsbeklagte auf die Berufung verzichtet hatte oder seine Berufung zurückgenommen und sich der selbständigen Anschlussberufung des Berufungsbeklagten angeschlossen hatte. Mit der Rücknahme der unselbständigen Anschlussberufung gibt der Berufungsbeklagte den mit der Anschlussberufung verfolgten prozessualen Anspruch, einem Verzicht auf das Anschlussrechtsmittel nahekommend, endgültig auf, so dass er gehindert ist, erneut unselbständige Anschlussberufung einzulegen. Auch wenn § 156 Abs. 2 nicht unmittelbar Anwendung findet, ist dessen Regelung, dass die Berufungsrücknahme den Verlust des Rechtsmittels bewirkt, auf die Rücknahme einer unselbständigen Anschlussberufung zu übertragen (so zutreffend LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 19.11.2002, L 13 AL 833/02)
Für die Anschlussberufung gilt § 516 ZPO nicht; diese ist trotz Verzichts auf die Berufung zulässig (§ 524 Abs. 2 ZPO).