2.6.1 Verlustigkeitsentscheidung

 

Rz. 29

Nach § 516 Abs. 3 Satz 2 ZPO ist auf Antrag des Gegners durch Beschluss auszusprechen, dass die Rücknahme der Berufung den Verlust des eingelegten Rechtsmittels zur Folge hat. Obwohl sich die Rechtsfolgen der Berufungsrücknahme aus dem Gesetz ergeben (Abs. 3 Satz 1), ordnet dieses an, dass das Berufungsgericht sie durch Beschluss auszusprechen hat. Dieser hat rein deklaratorische Bedeutung, ist allerdings Voraussetzung für die Kostenfestsetzung (§ 103 Abs. 1 ZPO). Er ist unmittelbar nach dem Wirksamwerden der Rücknahmeerklärung zu erlassen. Für das sozialgerichtliche und ebenso für das verwaltungsgerichtliche Verfahren besteht eine solche Regelung nicht. § 516 Abs. 3 ZPO ist auch nicht über § 202 SGG entsprechend anwendbar, weil das SGG die Rücknahme der Berufung und ihre Folgen abschließend regelt (BSG, Urteil v. 26.4.1963, 2 RU 56/62, NJW 1963 S. 2047). Deswegen kann im sozialgerichtlichen Verfahren einem Antrag des Rechtsmittelgegners, den Rechtsmittelkläger des Rechtsmittels für verlustig zu erklären, nicht entsprochen werden (BSG, Urteil v. 8.11.1957, 4 RJ 28/56, NJW 1958 S. 40; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 156 Rn. 38; Rohwer-Kahlmann, SGG, § 156 Rn. 15). Der gegenläufigen Auffassung (LSG NRW, Entscheidung v. 12.2.1957, NJW 1957 S. 1378; Keller, SGG, § 156 Rn. 5c; Bernsdorff, in: Hennig, SGG, § 156 Rn. 50, 51) kann nicht gefolgt werden (hierzu Neugebauer, SGb 1958, 290). Zweckmäßigkeitsgründe (hierzu Bernsdorff, a. a. O.) mögen zwar dafür sprechen, auch im SGG eine Verlustigkeitsentscheidung als statthaft anzusehen, indessen steht dem der insoweit eindeutige und von § 516 Abs. 3 ZPO abweichende Wortlaut des § 156 Abs. 2 entgegen. Im Übrigen bliebe auch die vom BSG (a. a. O.) herausgearbeitete entstehungsgeschichtliche Bedeutung der Fassung des § 156 Abs. 2 unbeachtet.

2.6.2 Kostenentscheidung (Abs. 3 Satz 2)

 

Rz. 30

Die Berufungsrücknahme hat zur Folge, dass das Berufungsverfahren beendet wird und über die Kosten zu entscheiden ist, sofern keine weitere selbständige Berufung eingelegt worden ist. Zu den vom LSG auszusprechenden Rechtsfolgen der Berufungsrücknahme rechnet die Entscheidung über die Kostentragung (§ 156 Abs. 2 Satz 2). Sie ist erforderlich, um für die Kosten des Berufungsverfahrens einen vollstreckbaren Titel zu erlangen, denn das SG hat in seinem (nunmehr rechtskräftigen) Urteil oder Gerichtsbescheid nur über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens entschieden (Bernsdorff, in: Hennig, SGG, § 156 Rn 53). Kosten sind die Kosten des Berufungsverfahrens. Bei Kostenfreiheit nach § 183 sind das die außergerichtlichen Kosten. Die Kostenentscheidung bedarf dann eines Antrags. Wenn die Berufungsrücknahme vor oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt worden ist, kann dieser schriftlich gestellt werden. Wird die Rücknahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erklärt, kann der Antrag noch in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift erklärt werden; Er kann aber auch noch später schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingereicht werden. Zur elektronischen Einlegung vgl. § 65a.

 

Rz. 31

Antragsberechtigt ist jeder am Berufungsverfahren Beteiligte (Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 156 Rn 39). Für den Antrag muss ein – i. d. R. zu bejahendes – Rechtsschutzbedürfnis gegeben sein. Wird in einem außergerichtlichen Vergleich vereinbart, dass die Berufung zurückgenommen wird und wer die Verfahrenskosten trägt, so entfällt das Rechtsschutzbedürfnis gleichwohl nicht (BGH, Beschluss v. 13.6.1972, X ZR 45/69, MDR 1972 S. 945, 946; Zöller/Heßler, ZPO, § 516 Rn. 23). Das Rechtsschutzbedürfnis folgt i. d. R. daraus, dass die Rechtskraft später angezweifelt werden könnte; es ist zu verneinen, wenn die Kosten infolge eines außergerichtlichen Vergleichs bereits beglichen sind (BGH, Beschluss v. 13.6.1972, X ZR 45/69, MDR 1972 S. 945). Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag kann nicht mit der Begründung verneint werden, es seien keine erstattungsfähigen Kosten entstanden (zutreffend: Bernsdorff, in: Henning, SGG, § 156 Rn. 55). Damit würde das LSG dem Kostenfestsetzungsverfahren vorgreifen. Liegt ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag vor, so ist regelmäßig Prozesskostenhilfe zu gewähren.

 

Rz. 32

Auch die Gerichtskosten gehören zu den Kosten im Sinne des § 156 Abs. 2 Satz 2. Hierüber ist von Amts wegen durch Beschluss nach Maßgabe von § 197a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 154 ff. VwGO zu entscheiden. Nach § 155 Abs. 2 VwGO hat derjenige, der ein Rechtsmittel zurücknimmt, die Kosten zu tragen. Mit der Berufungsrücknahme nach Schluss der mündlichen Verhandlung, also nachdem bereits eine Entscheidung des LSG ergangen ist, wird diese Entscheidung auch hinsichtlich der Kosten wirkungslos (Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 156 Rn. 39).

 

Rz. 33

Von Amts wegen ist ferner über Mutwillenskosten nach § 192 zu befinden, wenn die Voraussetzungen des § 192 Abs. 1 Satz 1 im Verfahren bis zur Erklärung der Rücknahme vorgelegen haben. Für im Urteil/Gerichtsbescheid des SG verhängte Mutwillenskosten bestimmt § 192 Abs. 2, dass diese...

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