1 Allgemeines

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGÄndG) v. 31.3.2008 (BGBl. I S. 444) mit Wirkung zum 1.4.2008 in das SGG aufgenommen worden. Sie dient der Straffung und Beschleunigung des Verfahrens. Es handelt sich um eine Folgeänderung zu § 106a. Die Vorschrift entspricht in wesentlichen Teilen der Regelung des § 128a VwGO. Eine vergleichbare Regelung für den Zivilprozess findet sich in § 531 ZPO. Auch im Berufungsverfahren hat das LSG auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen, sofern nicht die Voraussetzungen des § 157a vorliegen, unter denen das Berufungsgericht neue Erklärungen und Beweismittel ausnahmsweise zurückweisen kann. Die Berücksichtigung erstmals im Berufungszulassungsverfahren vorgetragenen tatsächlichen Vorbringens ist auch nicht in den Fällen ausgeschlossen, in denen diese Umstände dem Antragsteller bereits früher bekannt waren und deshalb schon im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Die allgemeine Prozessförderungspflicht der Beteiligten und das Ziel, gerichtliche Verfahren zu beschleunigen, begründen allein keine Präklusion neuen Vorbringens, so dass – sofern die Voraussetzungen des § 157a nicht vorliegen – neue Tatsachen und neue Beweismittel nicht ausgeschlossen werden dürfen.

 

Rz. 2

§ 157a durchbricht daher den Grundsatz des § 157 Satz 1, wonach das LSG den Streitfall im gleichen Umfang prüft, wie das SG, und dabei auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel berücksichtigt (Satz 2). Sofern neues Vorbringen nicht berücksichtigt wird, handelt es sich um eine Sanktion dafür, dass der Beteiligte eine Mitwirkungspflicht im erstinstanzlichen Verfahren schuldhaft verletzt hat. Präklusionsvorschriften sind wegen Art. 103 Abs. 1 GG und weil es sich um Ausnahmeregelungen handelt, eng auszulegen (BVerfG, Beschluss v. 30.1.1985, 1 BvR 99/84, BVerfGE 69 S. 126; Beschluss v. 30.1.1985, 1 BvR 876/84, BVerfGE 69 S. 145; BVerfG, Beschluss v. 1.4.1992, 1 BvR 1097/91, NJW 1992 S. 2556; vgl. auch die Kommentierung zu § 157). Die Vorschrift gilt über § 165 für das Revisionsverfahren (Zeihe, SGG, 11/2010, § 157a Rn. 1c) und ist auch im Beschwerdeverfahren anwendbar (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG. 9. Aufl. 2008, § 157a Rn. 3; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 128a Rn. 1).

2 Rechtspraxis

2.1 Zurückweisung neuen Vorbringens (Abs. 1)

2.1.1 Neues Vorbringen

 

Rz. 3

Die Vorschrift ist Teil des berufungsrechtlichen Präklusionsrechts. Neue, also erstinstanzlich nicht vorgetragene Tatsachen können in der Berufung nur unter den Voraussetzungen des Abs. 1 berücksichtigt werden. Erstinstanzlich verspätet vorgetragene und deswegen zu Recht zurückgewiesene Tatsachen bleiben nach Abs. 2 auch zweitinstanzlich ausgeschlossen. Beide Absätze sichern die Einhaltung der den Beteiligten obliegenden Prozessförderungspflicht, denen aufgegeben wird, rechtzeitig in erster Instanz vorzutragen und dies nicht für die zweite Instanz aufsparen.

 

Rz. 4

Erklärungen sind nur solche zum Sachverhalt, hingegen nicht Erläuterungen und Ergänzungen des Vortrags. Gleichermaßen sind dem Klageänderungen, Anträge und Erklärungen, deren Grundlage erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sind, nicht zuzurechnen. Es muss sich um Erklärungen/Beweismittel handeln, für die das SG bereits eine Frist nach § 106a Abs. 1 oder 2 gesetzt hat. Die Fristsetzung muss wirksam und mit einer Rechtsfolgenbelehrung nach § 106a Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 verbunden gewesen sein. Neue Erklärungen und Beweismittel liegen nur vor, wenn diese der Entscheidung des SG nicht zugrunde gelegen haben. Es muss sich um gänzlich oder doch in wesentlichen Punkten neues Vorbringen bzw. neue Beweismittel handeln. Vorbringen im Berufungsverfahren ist nicht neu, wenn es bereits in der Vorinstanz vorgetragen worden ist und in der Berufungsinstanz konkretisiert wird (BGH, Urteil v. 5.6.1991, VIII ZR 129/90, NJW-RR 1991 S. 1214). Ob es sich um neues Vorbringen handelt, folgt aus dem Sitzungsprotokoll des SG und dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (BAG, Urteil v. 8.10.1959, 2 AZR 48/57, MDR 1960 S. 81).

2.1.2 Verzögerung

 

Rz. 5

Die Bezugnahme auf § 106a Abs. 3 bedeutet, dass die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit das LSG neues Vorbringen zurückweisen "kann". Die Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits und das Unterlassen des Vorbringens im ersten Rechtszug aus grober Nachlässigkeit sind kumulativ erforderlich, um zu bewirken, dass das Vorbringen zurückgewiesen werden kann (BVerfG, Beschluss v. 1.4.1992, 1 BvR 1097/91, NJW 1992 S. 2557). Der Rechtsstreit verzögert sich, wenn er länger dauern würde, als bei Zurückweisung des neuen Vorbringens. Das LSG beurteilt dies nach seiner freien Überzeugung (BVerfG, Beschluss v. 1.4.1992, 1 BvR 1097/91, NJW 1992 S. 2557; OVG Niedersachsen, Beschluss v. 19.2.2001, 2 LA 366/01, NVwZ 2001 S. 1062). Ob der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen ebenso lange gedauert hätte, ist unerheblich, es sei denn, dies wäre offenkundig (BVerwG, Urteil v. 18.2.1998, 11 A...

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