Rz. 4
Die Postulationsfähigkeit ist Prozessvoraussetzung und von Amts wegen zu prüfen. Der Vertretungszwang bezieht sich auf alle Verfahrensbeteiligten, also auf die Hauptbeteiligten und die Beigeladenen. Ausnahmen hiervon sieht Abs. 1 nur für die dort genannten Beteiligten vor. Auch der Revisionsbeklagte muss sonach einen postulationsfähigen Vertreter bestellen. Geschieht dies nicht, wird er zwar persönlich geladen, kann aber weder Anträge stellen noch sonst gehört werden. Es wird entschieden, als sei der Beklagte nicht erschienen. Ist die Revision vom postulationsfähigen Bevollmächtigten ordnungsgemäß eingelegt und begründet worden, muss der Revisionskläger in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten sein; das BSG entscheidet dann auch ohne ihn (Peters/Sautter/Wolff, § 166 Rn. 33; Rohwer-Kahlmann, § 166 Rn. 29; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 166 Rn. 4, § 166 Rn. 4). Auch im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde werden nur die anwaltlichen Ausführungen berücksichtigt, nicht aber die ergänzende persönliche Stellungnahme des Klägers (BSG, Beschluss v. 21.8.2003, B 3 P 8/03 B). Der Vertretungszwang betrifft alle Prozesshandlungen im gesamten Verfahren bis zur abschließenden gerichtlichen Entscheidung und gilt nicht nur für die Einlegung des Rechtsmittels, sondern auch für seine Begründung (BSG, Beschluss v. 30.4.1998, B 9 V 141/97 B). Dem Vertretungszwang unterliegende Prozesshandlungen sind unzulässig, wenn sie nicht durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigten vorgenommen werden, indes kann der Mangel durch spätere Genehmigung ex nunc geheilt werden. Eine Heilung ex tunc ist ausgeschlossen (BSG, Breithaupt 1992 S. 85). Die Genehmigung muss daher vom postulationsfähigen Bevollmächtigten vor Fristablauf vorgelegt werden. Die Prozesshandlung braucht dann nicht wiederholt zu werden.
Nicht dem Vertretungszwang unterliegen gemäß § 202 SGG i. V. m. § 78 Abs. 2 ZPO Verfahrenshandlungen vor dem beauftragten und ersuchten Richter sowie solche Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können.
Rz. 5
Vertretungsfrei sind weiter u. a.:
- Erinnerungen gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gemäß § 178 (BSG, Urteil v. 11.11.1991, 7 RAr 24/89);
- Anträge auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (§ 73a SGG i. V. m. § 117 ZPO);
- Richterablehnungen (§ 60 SGG i. V. m. § 44 ZPO);
- Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 (BSG, SozR 1500 § 124 Nr. 6);
- Einwilligung in die Sprungrevision (BSGE 3 S. 13);
- Erklärung der Hauptsache als erledigt (BVerwGE 36 S. 133);
- Zustimmung zur Erledigungserklärung des Gegners (BVerwG, DVBl 1961 S. 517);
- Klagerücknahme, wenn Kläger als Revisionsbeklagter nicht postulationsfähig vertreten ist (BSG, SGb 1983 S. 194; BVerwG, NJW 1970 S. 1205);
- Revisionsrückname, sofern der Kläger diese nicht postulationsfähig eingelegt hat (BVerwGE 14 S: 19; BFHE 132 S. 400);
- Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58;
- Anträge auf Terminanberaumung und Terminverlegung (Meyer-Ladewig, § 166 Rn. 3c; für VwGO str.);
- Anträge auf Ruhen des Verfahrens (BSG, Urteil v. 20.3.1980, 12 BK 49/79, SozR 1500 § 166 Nr. 6);
- Anträge Beigeladener nach §§ 138 bis 140 (vgl. BVerwG, NJW 1965 S. 125);
- Klageerhebung vor dem BSG statt dem zuständigen SG (BSG, Urteil v. 25.9.1996, 4 S (A) 9/96);
- Verweisung einer beim BSG erhobenen Klage an das sachlich zuständige Sozialgericht (BSG, Beschluss v. 3.7.1996, 4 S (A) 7/96).
Rz. 5a
Ob ein Vertretungszwang für den Abschluss eines Vergleichs besteht, ist umstritten (vgl. Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 166 Rn. 3c). Die Frage wird wie folgt zu beantworten sein: Hat der Revisionskläger die Revision selbst, also ohne Prozessbevollmächtigten eingelegt, kann er zwar die Klage oder das Rechtsmittel zurücknehmen (actus contrarius), darüber hinausgehende Erklärungen kann er indes nicht wirksam abgeben. Denn diese setzen voraus, dass er sich inhaltlich mit der Sache befasst. Das wiederum soll gerade dem sachkundigen Bevollmächtigten vorbehalten bleiben. Insoweit bedarf es auf Seiten des Revisionsklägers eines postulationsfähigen Bevollmächtigten, um einen Vergleich wirksam abschließen zu können. Für den Revisionsbeklagten gilt grundsätzlich nichts anderes. Eine Ausnahme ist allerdings dann angezeigt, wenn der Revisionsbeklagte in seiner Funktion als Kläger im Ausgangsverfahren bereit ist, den Rechtsstreit durch einen Vergleich zu erledigen. Insoweit wäre es unsinnig, wenn er für einen verfahrensbeendenden Vergleich, sofern sich dieser in der Sache als Klagerücknahme darstellt, einen Prozessbevollmächtigten bestellen müsste.
Der Vertretungszwang gilt auch für die Erhebung einer Gegenvorstellung, soweit sie sich gegen eine Entscheidung richtet, die in einem dem Vertretungszwang unterworfenen Verfahren ergangen ist (BSG, Beschluss v. 10.11.2006, B 9a SB 61/06 B; zur Gegenvorstellung vgl. auch Zuck, ZRP 2008 S. 44 ff.).