2.1 Einführung
Rz. 5b
§ 178a soll den Vorgaben des BVerfG für das sozialgerichtliche Verfahren Rechnung tragen. Soweit nicht Besonderheiten dieses Verfahrens oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften des SGG Abweichungen erfordern, entspricht er § 321a ZPO. Bei der Anhörungsrüge handelt es sich um einen außerordentlichen Rechtsbehelf. Demzufolge ist nach § 66 für alle ordentlichen Rechtsbehelfe vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung nicht erforderlich (BayLSG, Beschluss v. 10.11.2010, L 2 R 554/10 B RG, juris). Die Einlegung der Anhörungsrüge hat weder Suspensiv- noch Devolutiveffekt. Sie hindert nicht den Eintritt der formellen Rechtskraft. Erst wenn sich herausstellt, dass die Rüge begründet ist, wird - ähnlich einer Wiedereinsetzung oder Wiederaufnahme des Verfahrens (BT-Drs. 15/3706 S. 14, 17) - die Rechtskraft durchbrochen und das Verfahren fortgesetzt (BGH, Beschluss v. 24.2.2005, III ZR 263/04, NJW 2005 S. 1432).
Rz. 5c
Absatz 1 enthält die Voraussetzungen, unter denen die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs statthaft und begründet ist. Absatz 2 trifft Regelungen zur Frist, innerhalb derer die Rüge erhoben werden kann, und zur Form, in der die Rüge zu erheben ist. Satz 4 und 5 stellen für den Sozialgerichtsprozess klar, dass die Rüge, sofern nicht nach § 166 Abs. 1 Vertretungszwang besteht, auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Die Abs. 3 und 5 entsprechen § 321a Abs. 3 bis 5 ZPO in der Neufassung. Absatz 6 berücksichtigt, dass die Anhörungsrüge die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung unberührt lässt und damit die Vollstreckung nicht hindert. Das Gericht hat jedoch die Möglichkeit, die Vollziehung der angegriffenen Entscheidung auszusetzen, wenn und soweit dies nach den jeweiligen Umständen geboten ist (vgl. Zeihe, SGG, § 178a Rn. 2a).
2.2 Gegenvorstellung
2.2.1 Abgrenzung: Gegenvorstellung/Anhörungsrüge
Rz. 6
Infolge der Schaffung des Rechtsinstituts der Anhörungsrüge ist eine außerordentliche Beschwerde, sofern sie zuvor überhaupt als statthaft angesehen wurde, nicht mehr gegeben (s. oben Rz. 2). Höchst umstritten ist allerdings (hierzu E. Schneider, MDR 2006, S. 969, 972 "heilloses Durcheinander"), ob und inwieweit der außergerichtliche Rechtsbehelf der Gegenvorstellung statthaft bleibt. Aus den Erwägungen des Plenums des BVerfG (Beschluss v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, NJW 2003 S. 1924) lässt sich nicht herleiten, dass eine Gegenvorstellung gegen gerichtliche Entscheidungen von Verfassungs wegen unzulässig ist. Das BVerfG macht zwar seit dieser Entscheidung die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde nicht länger von der vorherigen Einlegung außerordentlicher Rechtsbehelfe abhängig, die die Rechtsprechung teilweise außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen hatte. Obgleich auch die Gegenvorstellung zu den damit angesprochenen "Rechtsbehelfen" zählt (vgl. BVerfG, a. a. O.), ergibt sich hieraus jedoch nicht, dass eine Gegenvorstellung aus verfassungsrechtlichen Gründen unstatthaft ist. Der Plenarbeschluss nimmt zu außerordentlichen Rechtsbehelfen lediglich unter den Gesichtspunkten der Erschöpfung des Rechtswegs (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) sowie des Subsidiaritätsgrundsatzes Stellung. Insoweit wird darauf verwiesen, dass mangels einer zuverlässigen gesetzlichen Regelung die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht erfüllt sind. Die hieraus folgenden rechtsstaatlichen Defizite außerordentlicher Rechtsbehelfe schließen es aus, ihre vorherige erfolglose Einlegung zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zu machen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 25.11.2008, 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190).
Rz. 7
Ausgehend hiervon werden im Wesentlichen folgende Positionen vertreten (zum Meinungsstand auch BVerfG, Beschluss v. 25.11.2008, 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190, 202):
- Die Gegenvorstellung ist nicht (mehr) statthaft (VerfGH Sachsen, Beschluss v. 3.11.2011, Vf. 38-IV-11, juris; Beschluss v. 29.9.2011, Vf. 94-IV-10, juris; BVerwG, Beschluss v. 23.6.2011, 8 C 14/10, 8 C 14/10, juris; Beschluss v. 11.1.2007, 8 KSt 17/06, juris; BFH, Beschluss v. 26.9.2007, V S 10/07, BFHE 219, 27; BayVGH, Beschluss v. 19.1.2006, 4 CE 05.690, juris; OVG Lüneburg, Beschluss v. 3.5.2005, 11 ME 131/05, NJW 2005 S. 2171; OVG Berlin, Beschluss v. 3.2.2005, 2 RB 1.05, 2 B 14.04, NVwZ 2005, 470; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 2.2.2005, 3 S 83/05, NJW 2005 S. 920; Zeihe, SGG, § 172 Rn. 4d; Voßkuhle, NJW 2003 S. 2193, 2198).
- Die Gegenvorstellung ist nicht (mehr) statthaft, indessen ist § 178a trotz des eng gefassten Wortlauts jedenfalls auf die Rüge der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte analog anzuwenden (vgl. Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl. 2005, § 178a Rn. 12; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Oktober 2008, § 152a Rn. 9 und 36; Müller, NJW 2002 S. 2743, 2747; dagegen Voßkuhle, NJW 2003 S. 2193, 2199).
- Im Anwendungsbereich der Anhörungsrüge ist die Gegenvorstellung als außerordentlicher Rechtsbehelf ausgeschlossen (so zu § 152a VwGO: OVG Sachsen, Beschluss v. 20.12.2011, 5 B 97/11, ...