2.3.2.1 Inhalt der Rüge

 

Rz. 21

Bezeichnet der Beteiligte sein Begehren nur indifferent, ist zunächst durch Auslegung zu ermitteln, welches Ziel er verfolgt (zur Auslegung von Prozesshandlungen vgl. BSG, Beschluss v. 16.4.2002, B 9 VG 1/01 R, SozR 3-3800 § 1 Nr. 21; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 1.7.2002, 11 S 1293/02, NJW 2003 S. 80). Es gelten die Grundsätze für die Auslegung prozessualer Willenserklärungen. Die falsche Bezeichnung ist unschädlich. Eine der Auslegung nachgehende Umdeutung ist zulässig. Das gilt aber dann nicht, wenn die Beteiligten rechtskundig vertreten sind oder eine Behörde handelt. Eine nach Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes v. 1.1.2005 erhobene Gegenvorstellung, mit der allein ein Gehörsverstoß gerügt wird, ist als Anhörungsrüge zu behandeln (so VerfG Brandenburg, Beschluss v. 28.9.2006 17/06, juris). Hat allerdings der Kläger seine Beschwerde ausdrücklich als solche bezeichnet, obwohl er sich des Unterschieds zur Anhörungsrüge sehr wohl bewusst ist, schließt dies die Annahme aus, er wolle zumindest auch eine Anhörungsrüge erheben (OVG Lüneburg, Beschluss v. 14.9.2009, 12 OB 242/08, juris; vgl. auch BVerfG, Beschluss v. 25.11.2008, 1 BvR 848/07, BVerfGE 122, 190). Eine Umdeutung gegen den erklärten Willen ist unzulässig (Zeihe, vor § 143 Rn. 6c; vgl. auch Greger, NJW 2002 S. 3049, 3053). Im Übrigen genügt der erkennbare Wille des Beteiligten, wenn er sich gegen ein unanfechtbares Urteil bzw. einen unanfechtbaren Beschluss wendet und dabei zum Ausdruck bringt, dass er sich hierdurch beschwert fühlt und diesen einer erneuten Überprüfung zugänglich machen will.

Beschränkt sich der Beteiligte auf allgemeine Unmutsäußerungen, liegt schon keine Gehörsrüge vor. Das Verfahren nach § 178a ist dann schon aus diesem Grunde nicht eröffnet. Auf die Frage der Zulässigkeit oder Begründetheit der Rüge kommt es dann nicht an.

2.3.2.2 Beschwer

 

Rz. 22

Die Rüge ist nur dann statthaft, wenn der Beteiligte (§ 69) beschwert ist. Auf die Beteiligtenstellung kommt es nicht an. Beschwert sein kann der Kläger und/oder der Beklagte und/oder der Beigeladene. Der Beteiligte muss durch die gerichtliche Entscheidung beschwert sein. Allein ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs reicht nicht. Hierauf kommt es vielmehr erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung an. Hinsichtlich des Begriffs "Beschwer" ist auf die Erläuterungen vor §§ 143 ff. zu verweisen.

2.3.2.3 Form

 

Rz. 23

Die Rüge ist schriftlich (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 151) oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Elektronische Medien kommen nach Maßgabe des § 65a in Betracht. Lediglich soweit die Rüge sich gegen eine Entscheidung des BSG richtet, besteht Anwaltszwang (vgl. Leitherer, SGG, § 178a Rn. 6).

 

Rz. 24

Die Rüge ist unzulässig, wenn sie den inhaltlichen Anforderungen des § 178a Abs. 2 Satz 6 nicht genügt. Die angegriffene Entscheidung "muss" bezeichnet werden. Das entspricht § 92 Abs. 1 Satz 1 i. d. F. des SGGArbGGÄndG v. 26.3.2008 (BGBl. I 444), wonach der Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet werden muss, und und weicht von § 92 Abs. 1 Satz 1 a. F. ab (hierzu Vorauflage § 178a Rz. 12). Für das Berufungsverfahren verlangt § 151 Abs. 3 hingegen nur, dass die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen "soll", hingegen die Revisionsschrift das angefochtene Urteil angeben "muss" (§ 164 Abs. 1 Satz 2). Die Formulierung "muss" in § 178a Abs. 2 lässt keinerlei Interpretationen zu. Die Vorschrift ist eindeutig und damit nicht auslegungsfähig. Gegen eine "Umdeutung" des Muss in ein schlichtes Soll spricht überdies, dass das Anhörungsrügengesetz ersichtlich von dem Gedanken getragen wird, die Anhörungsrüge für alle Verfahrensordnungen inhaltlich möglichst gleich auszugestalten (vgl. Teil A II der Begründung, vgl. BT-Drucks. 15/3706). Unvollständige oder falsche Angaben sind unschädlich, wenn nicht zweifelhaft ist, um welche Entscheidung es sich handelt. Genügt die Rüge diesen Formalien nicht, ist sie zu verwerfen.

2.3.2.4 Einlegungsfrist

 

Rz. 25

Die Rüge muss binnen zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben und begründet werden (BSG, Beschluss v. 18.5.2009, B 3 KR 1/09 C, SozR 4-1500 § 178a Nr. 8). Die Frist ist nach § 64 zu berechnen (LSG NRW, Beschluss v. 25.5.2009, L 11 KA 78/08, juris). Das Gesetz weicht hier von den Vorgaben des BVerfG ab. Dieses hatte bestimmt, dass der Antrag binnen 14 Tagen seit Zustellung der Entscheidung zu stellen ist, weil dies im Interesse der Rechtssicherheit läge. Der Gesetzentwurf hat das nicht aufgenommen. Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf liegt dem die Erwägung zugrunde, dass sich die Vorschrift insoweit an die entsprechenden Regelungen in den ebenfalls rechtskraftdurchbrechenden Rechtsbehelfen der Wiedereinsetzung und Wiederaufnahme anlehnt (BT-Drucks. 15/3706). Das überzeugt nicht. Auf "Kenntnis" stellt § 67 nicht ab. Die Monatsfrist läuft ab Wegfall des Hindernisses, was schon dann der Fall ist, wenn der Beteiligte Kenntnis hätte haben müssen. Lediglich § 586 Abs. 1 ZPO schreibt für die ...

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