Rz. 8

§ 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 eröffnet die Möglichkeit, einem Beteiligten Kosten entsprechend § 34 BVerfGG aufzuerlegen, wenn die Einlegung des Rechtsbehelfs oder sonstige Verfahrenshandlungen als Missbrauch des kostenfreien sozialgerichtlichen Rechtsschutzes anzusehen sind (BT-Drs. 14/5943 S. 28). Die Regelung stellt eine Schadensersatzregelung dar, die das Privileg der Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens teilweise entfallen lässt.

Ausgehend von § 34 BVerfGG, dessen Konzeption der Gesetzgeber auf die Neufassung des § 192 übertragen hat, ist unter einem Missbrauch des Verfahrens der objektive Missbrauch zu verstehen. Ein Verschulden des Beteiligten ist nicht erforderlich. Ein Handeln des Beteiligten gegen besseres Wissen, wie es von der Rechtsprechung nach der bisherigen Fassung des § 192 gefordert wurde, ist nicht mehr Voraussetzung für die Verhängung der Verschuldenskosten. Es genügt, dass die Erhebung oder Fortführung der Klage von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden müsste. Dabei ist auf die (objektivierte) Einsichtsfähigkeit eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten abzustellen (LSG Sachsen, Urteil v. 31.3.2005, L 2 U 124/04; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 27.2.2018, L 6 SB 2931/17; a. A. Meyer-Ladewig, SGG, § 192 Rz. 9a; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 5.5.2010, L 7 AS 193/10 B, wonach ein subjektives Verschulden vorliegen muss). Der Beteiligte muss in ungewöhnlich hohem Maß uneinsichtig sein (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 6.7.2006, L 5 KR 51/06). Allein eine ungünstige Beweissituation wird einen Missbrauch nicht begründen können. Vielmehr muss ein gewisses Ausmaß an Aussichtslosigkeit bestehen (LSG Bayern, Beschluss v. 20.12.2006, L 8 AL 130/05). Ist ein Beteiligter durch einen Rechtsanwalt, einen Rechtssekretär oder eine sonstige rechtskundige Person vertreten, ist auf deren Einsichtsfähigkeit abzustellen (LSG Bayern, Urteil v. 9.11.2005, L 1 R 4140/04; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.5.2009, L 17 U 91/07; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 14.7.2016, L 34 AS 2443/15). Für sie gelten erhöhte Anforderungen (LSG Sachsen, Urteil v. 31.3.2005, L 2 U 124/04). Von einem rechtskundigen Bevollmächtigten, insbesondere einem Rechtsanwalt, ist zu verlangen, dass er sich mit der Rechtsmaterie auseinandersetzt, die Rechtsprechung zu den aufgeworfenen Fragen prüft und die Erfolgsaussichten eingehend abwägt und sich entsprechend den Ergebnissen seiner Prüfung verhält (BVerfG, Beschlüsse v. 3. 7.1995, 2 BvR 1379/95, und v. 17.1.2013, 1 BvR 1578/12; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile v. 25.11.2010, L 22 LW 1/09, und v. 14.7.2016, L 34 AS 2443/15). Ein Beteiligter muss sich das Verhalten seines Bevollmächtigten zurechnen lassen (§ 192 Abs. 1 Satz 2). Umstritten ist, ob einem Prozessbevollmächtigten Missbrauchsgebühren auferlegt werden können (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 26.8.2010, L 8 SO 159/10 mit Widergabe des Meinungsstandes; bejahend: LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 25.4.2016, L 6 AS 63/16; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 29.2.2012, L 29 AS 1144/11; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 26.8.2010, L 8 SO 159/10, wonach eine Gebühr nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 auch einem Bevollmächtigten auferlegt werden kann; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse v. 5.11.2013, 2 BvR 2132/12 und v. 8.11.2018, 1 BvR 1949/18, wonach einem Prozessbevollmächtigten eine Missbrauchsgebühr nach § 34 BVerfGG auferlegt werden kann; ablehnend: LSG Bayern, Beschluss v. 10.1.2017, L 15 VK 14/16, LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse v. 13.1.2020, L 5 AS 1483/19 B, und v. 10.5.2017, L 32 AS 345/17 B; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 30.11.2017, L 4 P 4479/17 B; Meyer-Ladewig, SGG, § 192 Rz. 2, wonach es sich bei der Vorschrift des § 192 Abs. 2 um eine Zurechnungsregel handelt).

Sind Verschuldenskosten mittels gesondertem Beschluss nicht einem Beteiligten, sondern seinem Prozessbevollmächtigten auferlegt worden, ist hiergegen nur dem Prozessbevollmächtigten die Beschwerdemöglichkeit eröffnet (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss v. 20.11.2020, VfGBbg 51/19, mit Wiedergabe des Meinungsstandes).

 

Rz. 9

Missbrauch liegt bei einem offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Verfahren vor, dessen Einleitung oder Fortführung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (BVerfG, Beschluss v. 3.7.1995, 2 BvR 1379/95; BVerfG, Beschluss v. 6.11.1995, 2 BvR 1806/95). Eine offensichtliche Aussichtslosigkeit wird u. a. angenommen, wenn

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