Rz. 78
Die Regelungen des § 155 Abs. 2 bis 3, § 154 Abs. 4, § 156 VwGO gehen der Kostenverteilung nach §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO vor.
Rz. 79
Kosten durch schuldhaftes Verhalten eines Beteiligten, § 155 Abs. 4 VwGO:
Die Kostenverteilung nach § 155 Abs. 4 VwGO geht als Sondervorschrift allen anderen Kostenvorschriften vor und ist bei jeder Entscheidung zu berücksichtigen. Zusätzlich ausscheidbare Kosten, die durch das Verschulden eines Beteiligten verursacht wurden, sind dem Beteiligten – unabhängig vom Ausgang des Verfahrens – aufzuerlegen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 16.2.2022, L 4 BA 2/18). Die Vorschrift betrifft das Verhältnis untereinander. Im Verhältnis zur Gerichtskasse gilt § 38 GKG (vgl. Rz. 67). Ein Beteiligter muss unter Außerachtlassung der erforderlichen und ihm zumutbaren Sorgfalt durch sein eigenes Verhalten (durch eine Handlung oder eine Unterlassung) einen anderen Beteiligten oder das Gericht zu Prozesshandlungen oder Entscheidungen veranlasst haben, die an sich nicht erforderliche Kosten verursacht haben. Der Verschuldensbegriff entspricht dem des § 67 Abs. 1 (vgl. Komm. zu § 67 Rz. 3 f). Der Beteiligte haftet aus dem Prozessrechtsverhältnis für das Verschulden seines Vertreters. Unerheblich ist, ob die Kosten durch das prozessuale oder vorprozessuale Verhalten eines Beteiligten verursacht wurden (OVG Münster, Beschluss v. 6.10.1983, 14 B 1255/83). Als Handlungen kommen u. a. die Beifügung einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung (BGH, Beschluss v. 5.5.2021, AnwZ (Brfg) 63/18; BVerwG, Urteil v. 28.10.2015, 2 C 23/14; VGH Bayern, Beschluss v. 17.9.2021, 22 As 21.40015), die Verletzung der Anhörungspflicht, das Fehlen einer Begründung in der Entscheidung (BVerwG, Beschluss v. 30.4.2010, 9 B 42/10), eine unrichtige Behauptung über die Rechtswirkung einer Entscheidung wie z. B. die sofortige Vollziehbarkeit, eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung durch Versicherungsträger oder Behörden, die Heilung von Verfahrensfehlern im Gerichtsverfahren, die unzureichende Mitwirkung eines Beteiligten im Verwaltungsverfahren, die Versäumung von Terminen und Fristen, die Verzögerung einer Erledigungserklärung, einer Rücknahme oder der Annahme eines Anerkenntnisses (BVerwG, Urteil v. 23.2.2011, 6 C 22/10; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 8.1.2021, 19 B 2010/20) in Betracht (vgl. Kopp/Schenke, § 155 Rz. 19 f. m. w. N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 17.5.2010, L 11 B 14/09 KA ER). Eine Veranlassung von Kosten ohne Verschulden begründet nicht die Kostentragungspflicht nach § 155 Abs. 4 VwGO (BVerwG, Beschluss v. 14.6.1999, 4 B 18/99).
Rz. 80
§ 155 Abs. 4 VwGO gilt nicht für Kosten, die durch eine schuldhafte unrichtige Sachbehandlung durch das Gericht verursacht werden. In solchem Fall kann nach § 21 GKG (siehe Rz. 27) von der Erhebung der Gerichtskosten abgesehen werden.
Rz. 81
Nach § 155 Abs. 2 VwGO trägt derjenige, der eine Klage, einen Antrag oder einen Rechtsbehelf zurücknimmt, die Kosten des Verfahrens. Bei der Rücknahme eines Rechtsmittels oder sonstigen Rechtsbehelfs gilt § 155 Abs. 2 VwGO nicht für das Verfahren in der Vorinstanz, sondern nur für die Instanz des Rechtsbehelfs. Wenn durch die Rücknahme ein unselbstständiges Anschlussrechtsmittel gegenstandslos wird, trägt der Rechtsmittelführer auch die Kosten des Anschlussrechtsmittels.
Für den Fall einer Klagerücknahme ordnet § 197a Abs. 1 Satz 2 zudem ausdrücklich an, dass § 161 Abs. 2 VwGO (Rz. 87) nicht anzuwenden ist. Durch diese Regelung wird klargestellt, dass bei der Klagerücknahme, die nach § 102 Satz 2 SGG den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, § 155 Abs. 2 VwGO Anwendung findet. Es soll sichergestellt werden, dass die Klagerücknahme kostenmäßig nicht wie die Erledigung der Hauptsache behandelt wird, insbesondere die Kosten nicht nach billigem Ermessen verteilt werden (BT-Drs. 14/5943 S. 29.). Eine einseitige Erledigungserklärung, der der Gegner widerspricht, kann in Verfahren nach § 197a nicht mit einer Klagerücknahme gleichgesetzt werden (BSG, Beschlüsse v. 1.9.2009, B 1 KR 1/09 D, und v. 15.8.2012, B 6 KA 97/11 B; vgl. Rz. 87).
Die Kostenverteilung des § 155 Abs. 2 VwGO gilt auch im Fall der nachträglichen Beschränkung des Klagebegehrens oder bei Klageänderungen, die eine Nichtverfolgung einzelner Ansprüche oder das Ausscheiden von Beteiligten zur Folge haben (vgl. Kopp/Schenke, § 155 Rz. 8) sowie bei einer Rechtsbehelfsrücknahme aufgrund eines außergerichtlichen Vergleichs nach Auffassung des BSG (Beschluss v. 29.9.2011, B 1 KR 1/11 R; a. A. BVerwG, Beschluss v. 24.1.2017, 3 A 1/17, 3 A 1/17; VGH Bayern, Beschluss v. 15.3.2018, 8 ZB 15.916; vgl. Rz. 89).
Rz. 82
Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 155 Abs. 3 VwGO:
Falls durch ein Wiedereinsetzungsverfahren ausscheidbare, zusätzliche Kosten (Mehrkosten) verursacht wurden, ist über die Kostentragung im Urteil oder in der abgesonderten Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden. Die Kos...