Rz. 12
§ 202 wurde durch das "Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" v. 29.9.2011 geändert. Das Gesetz ist am 3.12.2011 in Kraft getreten.
Rz. 13
Der nunmehrige Satz 2 des § 202 erklärt die Vorschriften des 17. Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der Maßgabe für entsprechend anwendbar, dass an die Stelle des Oberlandesgerichtes das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der ZPO das SGG tritt. Diese Ergänzung ist notwendig gewesen, da § 202 bislang nur auf die verfahrensrechtlichen Regelungen des GVG verwiesen hat, jetzt aber dort ein materiell-rechtlicher Anspruch geregelt wird. Zugleich ist klargestellt, dass für die Sozialgerichtsbarkeit die eigene Verfahrensordnung zur Anwendung kommt. Dies schließt insbesondere den Amtsermittlungsgrundsatz mit ein.
Rz. 14
Artikel 13 i. V. m. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention bestimmt, dass die Staaten einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die überlange Dauer von gerichtlichen Verfahren bereitzustellen haben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mehrfach gerügt, dass die Bundesrepublik Deutschland einen solchen Rechtsbehelf nicht geschaffen hat. Mit Urteil v. 2.9.2010 (Az. 46344/06, NJW 2010, 3355) hat er der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben, bis Ende des Jahres 2011 einen oder mehrere entsprechende Rechtsbehelfe zu schaffen. Mit dem vorliegenden Gesetz soll dieser Forderung nachgekommen werden. Der Gesetzgeber hat eine Kombination aus Prävention und Entschädigungslösung gewählt. Das präventive Element besteht in der Obliegenheit einer "Verzögerungsrüge", das Entschädigungselement besteht in einem verschuldensunabhängigen Staatshaftungsanspruch sui generis. Der Anspruch ist verschuldensunabhängig und richtet sich gegen das Land bzw. den Bund als Träger desjenigen Gerichts, bei dem die Verzögerung entstanden ist. Die maßgeblichen Gesetzesmaterialen ergeben sich aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 17.11.2010 (BT-Drucks. 17/3802), der entsprechenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 17/7217) und den BR-Drucks. 587/11 v. 30.9.2011 und 14.10.2011.
Rz. 15
Zentrale Vorschrift des Gesetzes ist Art. 1, in welchem § 198 GVG geschaffen wird. Dieser lautet:
Zitat
(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter
einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache
befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.
(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräft...