Rz. 1
Die Vorschrift ist seit Inkrafttreten des SGG viermal geändert worden. Zwei Änderungen betrafen den nicht mehr existierenden § 60 Abs. 4. Dieser Absatz wurde durch Art. 1 Nr. 13 des 7. SGGÄndG v. 9.12.2004 (BGBl. I S. 3302) eingefügt. Es wurde eine Regelung für den Fall getroffen, dass nach § 50a SGG Verfahren vor den besonderen Spruchkörpern der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt werden. Durch Art. 3 Nr. 8 i. V. m. Art. 4 des 7. SGGÄndG wurde zeitgleich bestimmt, dass § 60 Abs. 4 SGG mit Wirkung zum 1.1.2009 außer Kraft tritt.
Rz. 2
Eine grundlegende Änderung hat § 60 SGG durch Art. 8 Nr. 4 Buchst. a und b des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) mit Wirkung zum 1.1.2012 insofern erfahren, als § 60 Abs. 1 Satz 2 SGG aufgehoben wurde und § 60 Abs. 1 SGG nunmehr insgesamt auf §§ 41 bis 49 ZPO verweist. Seither entscheidet nicht mehr das LSG sondern das SG über Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen. Ausweislich der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 17/6467 S. 27) liegt dem folgende Erwägung zugrunde:
Mit der Regelung wird erreicht, dass – wie in der Zivilprozess- und der Verwaltungsgerichtsordnung – die Entscheidung über die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen das Gericht trifft, dem der Abgelehnte angehört. An seine Stelle tritt der geschäftsplanmäßige Vertreter. Das gilt auch für das Bundessozialgericht, damit wird die bisherige Regelung in § 171 Absatz 1 obsolet (siehe Artikel 8 Nummer 9 Buchstabe a). Mit dieser Änderung wird zur Verfahrensbeschleunigung beigetragen, weil auch das Verfahren über das Ablehnungsgesuch durch das gleiche Gericht durchgeführt wird. Da § 46 Zivilprozessordnung (ZPO) für entsprechend anwendbar erklärt wird, ist die bisher in Satz 2 enthaltene Regelung entbehrlich. § 172 Absatz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geht als speziellere Norm dem § 46 Absatz 2 ZPO vor, so dass weiterhin Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können.
Weiter heißt es (a. a. O. S. 16):
Angesichts der stetig gestiegenen Zahl der Verfahren vor den Sozialgerichten werden mehrere Änderungsvorschläge zum Verfahrensrecht der Länderarbeitsgruppe "Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte", der Gemeinsamen Kommission der Justizministerkonferenz (JuMiKo) und der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister (ASMK) aufgegriffen, um zur Beschleunigung der Verfahren und zur Entlastung der Sozialgerichtsbarkeit beizutragen.
Rz. 3
Allerdings wird es das Geheimnis des "Gesetzgebers" (zur Frage, wer der "Gesetzgeber" ist, vgl. Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 23 f.) bleiben, wie und wo er die Entlastung verortet. Die Änderung führt zu keiner Verfahrensbeschleunigung. Falls die Begründung hiermit meinen sollte, dass der Aktentransport vom SG zum LSG entfällt, kann das schwerlich ernst gemeint sein. Der Aktentransport ist binnen kürzester Zeit abgewickelt. Die unterstellte Zeitersparnis mag ein bis zwei Tage ausmachen. Hierüber lohnt es sich nicht zu diskutieren, geschweige denn, dass dies Anlass sein könnte, die bisherige Regelung aufzugeben. Die Änderung konterkariert sich vielmehr selbst. Statt einer Entlastung der ersten Instanz bewirkt sie das Gegenteil.
Rz. 4
Art. 7 Nr. 6 des Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG) v. 19.10.2013 (BGBl. I S. 3836) änderte § 60 Abs. 1 SGG dahin, dass die Angabe "§§ 41 bis 49" durch "die §§ 41 bis 46 Abs. 1 und die §§ 47 bis 49" ersetzt wurde. Parallel änderte Art. 7 Nr. 11 des BUK-NOG § 172 SGG. Ausweislich der Gesetzesbegründung war es das Ziel der Änderungen, eine übersichtliche und klare Regelung zur Statthaftigkeit von Beschwerden zu schaffen (BT-Drs. 17/12297 S. 24). Hintergrund war, dass nach § 60 Abs. 1 SGG i. d. F. des 4. SGGÄndG unklar blieb, ob die zuvor statthafte Beschwerde gegen Befangenheitsbeschlüsse des SG nunmehr ausgeschlossen war. Die Gesetzesbegründung verfolgt dieses Anliegen, indessen dogmatisch unsauber hergeleitet und die Normenkonkurrenz mit § 172 Abs. 2 SGG übersehend. Mit Art. 7 BUK-NOG hat der Gesetzgeber nachgebessert. Nunmehr ist die Beschwerde gegen Befangenheitsbeschlüsse des SG nicht mehr statthaft (dazu Rz. 213 ff.).