2.3.1 Überblick

 

Rz. 77

Die Norm hat drei Regelungsebenen. In ihrem Abs. 1 bestimmt sie, dass ein Richter sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann. Abs. 2 betrifft die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Abs. 3 benennt die Parteien, die zur Ablehnung befugt sind. Die Ablehnung setzt voraus, dass mit einem zulässigen Ablehnungsgesuch eines Beteiligten (§ 69 SGG) ein Ablehnungsgrund glaubhaft gemacht wird oder der Richter sich selbst ablehnt (§ 48 ZPO).

2.3.2 Der Inhalt des § 42 Abs. 1 ZPO

 

Rz. 78

In § 42 Abs. 1 ZPO werden zwei Ablehnungsgründe bestimmt. Die Vorschrift ist abschließend. Hiernach kann ein Richter abgelehnt werden, wenn er kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist. Letzteres ist gegeben, wenn eine der in § 41 Nr. 1 bis 8 ZPO gelisteten Fallgestaltungen greift. Der hieraus folgende Ausschluss ist von Amts wegen zu beachten. Flankierend eröffnet § 42 Abs. 1 Alt. 1 ZPO die Möglichkeit, diesen Richter abzulehnen. Berufen sich Verfahrensbeteiligte auf einen ihrer Meinung nach bestehenden Ausschlussgrund, der indes vom Gericht nicht geteilt wird, haben sie die Möglichkeit, den Richter abzulehnen. Der Ausschlussgrund greift in diesem Fall nur mittelbar, erst und nur dann, wenn er aufgrund eines Beschlusses über das Ablehnungsgesuch ausgeschlossen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 22.2.2017, OVG 4 L 6.17) oder für befangen erklärt wird. Ein weiterer Weg ist die Selbstablehnung nach § 48 ZPO. Im Übrigen kann der Richter auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Dieses Begrifflichkeit wiederum wird in § 42 Abs. 2 ZPO ausdifferenziert. Es muss ein Grund vorliegen, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Systematisch ist § 42 Abs. 1 ZPO mithin den präzisierenden Regelungen in § 41 ZPO und § 42 Abs. 2 ZPO vorgeschaltet.

2.3.3 Der Inhalt des § 42 Abs. 2 ZPO

 

Rz. 79

Eine Ablehnung findet statt, wenn die Besorgnis der Befangenheit besteht (§ 42 Abs. 2 ZPO). Voraussetzung dafür ist, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Ziel der Regelungen ist es, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit zu vermeiden (BVerfG, Beschluss v. 18.6.2003, 2 BvR 383/03; BGH, Beschluss v. 15.3.2012, V ZB 102/11; VGH Bayern, Beschluss v. 28.8.2017, 15 ZB 17.445, 15 ZB 17.1001; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 2.8.2017, 11 S 49.17). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich befangen ist, sondern darauf, ob ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit eines Richters haben kann (vgl. BSG, Beschluss v. 25.2.2010, B 11 AL 22/09 C; Beschluss v. 8.1.2010, B 1 KR 119/09 B; Beschluss v. 31.7.1985, 9a RVs 5/84; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 15.4.2013, L 2 SF 79/13 B AB). Es darf sich nicht nur um subjektive, objektiv nicht nachvollziehbare Erwägungen handeln. Die Zweifel müssen ihren Grund in dem eigenen Verhalten des Richters haben, nicht darin, was andere aus seiner Äußerung machen (BSG, Beschluss v. 1.3.1993, 12 RK 45/92). Voraussetzung für ein Befangenheitsgesuch i. S. d. § 42 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich, dass sich das Gesuch individualisierbar auf einzelne Richter bezieht (BSG, Beschluss v. 13.2.2012, B 6 KA 4/11 C; LSG Bayern, Beschluss v. 16.8.2017, L 16 SF 170/17 AB; OVG Saarland, Beschluss v. 23.5.2017, 2 D 379/17; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 29.11.2006, L 9 U 4963/06 A).

2.3.4 Fallgruppen

2.3.4.1 Richter

2.3.4.1.1 Hinweispflicht

 

Rz. 80

Die grundrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) umfasst das Recht auf ein unparteiisches Gericht. Die EMRK sichert diesen Anspruch in deren Art. 6 Abs. 1 Satz 1 menschenrechtlich ab (hierzu ausführlich Frehse, Kompensation-ÜGG, S. 219 ff.). Dessen Unparteilichkeit wird u. a. durch das Recht eines Beteiligten gesichert, Gerichtspersonen wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Damit ein Beteiligter von diesem prozessualen Recht Gebrauch machen kann, muss das Gericht ihn auf einen ihm als Außenstehenden ersichtlich verborgenen Sachverhalt hinweisen, der aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei Anlass für einen Befangenheitsantrag sein kann (vgl. BGH, Urteil v. 15.12.1994, I ZR 121/92). Exemplarisch hierfür ist die Selbstablehnung nach § 48 ZPO. Auch ist das Gutachten eines Sachverständigen als Beweismittel ungeeignet, wenn in seiner Person ein Ablehnungsgrund vorliegt, den ein Beteiligter bei Kenntnis mit Sicherheit geltend gemacht hätte. Der gesetzliche Rahmen freier Beweiswürdigung ist überschritten, wenn das Gericht in Kenntnis des Ablehnungsgrundes das Gutachten als Urteilsgrundlage verwendet (BSG, Urteil v. 11.12.1992, 9a RV 6/92). Der insoweit zu rügende Verfahrensfehler (§ 160 Abs. 2 Nr. 3) kann dazu führen, dass das BSG das angefochtene Urteil auf eine Nichtzulassungsbeschwerde aufhebt und die Sache nach § 160a Abs. 5 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das...

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