Rz. 2
Bei dem Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 169 GVG) handelt es sich um einen zentralen Grundsatz des Prozessrechts. Die Öffentlichkeit der Verhandlung erfordert, dass jedermann nach Maßgabe des verfügbaren Raums Zutritt zur Verhandlung ermöglicht wird (BAG, Beschluss v. 22.9.2016, 6 AZN 376/16, NJW 2016, 3611 ff.; Kissel/Mayer, GVG, § 169 Rn. 21 m. w. N.; vgl. auch Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 61 Rn. 2; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 61 Anm. 3, Klotz, NJW 2011 S. 1186 ff.). Der an der mündlichen Verhandlung potentiell teilnehmende Personenkreis muss unbestimmt sein (Kothe, in: Redeker/von Oertzen, VwGO, § 55 Rn. 1). Erforderlich ist, dass sich jedermann Kenntnis über Zeit und Ort einer Verhandlung verschaffen kann (BVerfG, Beschluss v. 5.7.2006, 2 BvR 998/06, NJW-RR 2006 S. 1653; BAG, Beschluss v. 22.9.2016, 6 AZN 376/16, NJW 2016 S. 3611; Lückemann, in: Zöller, ZPO, § 169 GVG Rn. 3). Eine mündliche Verhandlung ist öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während deren Dauer jedermann zugänglich sind (BVerwG, Beschlüsse v. 23.11.1989, 6 C 29.88, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 91 S. 38, und v. 15.3.2012, 4 B 11.12, BauR 2012 S. 1097). Das Merkmal der Öffentlichkeit setzt keine an jedermann gerichtete Bekanntgabe voraus, wann und wo eine Gerichtsverhandlung stattfindet (BVerwG, Beschlüsse v. 15.9.1994, 1 B 170/93, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 8, und v. 25.6.1998, 7 B 120.98, Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 9). Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit gebietet es nicht, dass jedermann weiß, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (BVerfG, Beschluss v. 10.10.2001, 2 BvR 1620/01, NJW 2002 S. 814), und auch nicht, dass die mündliche Verhandlung in jedem Fall durch Aushang bekannt gemacht werden muss (BVerwG, Beschluss v. 20.7.2016, 8 B 1/15, LKV 2016 S. 457; Beschluss v. 14.6.2016, 4 B 45/15; Beschluss v. 17.11.1989, 4 C 39.89; Beschluss v. 25.7.1972, 4 CB 60.70, JR 1972 S. 521). Üblich sind jedoch Terminzettel oder Anzeigetafel jedenfalls am Sitzungssaal. Wird der Terminplan im Internet veröffentlicht, ist das wegen Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen unzulässig (hierzu Lückemann, in: Zöller, § 169 GVG Rn. 3). Unkritisch ist es hingegen, wenn die maßgeblichen Daten (Namen der Beteiligten und der an der Entscheidung mitwirkenden Richter) nicht veröffentlicht oder sonst anonymisiert werden (zur Anonymisierung vgl. auch Müller-Horn, DRiZ 2012 S. 81, 82).
Rz. 3
Eine Beeinträchtigung der Öffentlichkeit ist gegeben, wenn die Tür zum Gerichtsgebäude etwa bei einer späten Terminstunde geschlossen ist und ein Zuhörer sich auch durch Betätigung einer Klingel nicht mehr Einlass verschaffen kann. Bei öffentlichen Sitzungen muss durchgehend gewährleistet sein, dass der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten deutlich erkennbar gestattet ist (BVerwG, Beschluss v. 17.3.2000, 8 B 287/99, BVerwGE 111 S. 61; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 169 GVG Rn. 5). Die Öffentlichkeit ist nicht gewahrt, wenn der Aushang vor dem Sitzungssaal ausdrücklich darauf hinweist, dass im Saal eine "Nichtöffentliche Sitzung" stattfindet. Hierin liegt ein wesentliches Zutrittshindernis (BSG, Beschluss v. 28.3.2000, B 8 KN 7/99 R, SozR 3-1500 § 61 Nr. 1). Allerdings: Die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Verhandlung verlangen nicht, dass die mündliche Verhandlung in jedem Fall durch Aushang bekanntgemacht werden muss (BVerwG, Urteil v. 17.11.1989, 4 C 39.89, juris; Beschluss v. 24.5.1984, 4 CB 2.84, Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 26; VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 7.2.2011, A 2 S 238/11; hierzu schon Rz. 2). Die Einblendung der Anzeige "nicht öffentliche Sitzung" auf der vor dem Sitzungssaal befindlichen elektronischen Anzeigetafel ist zwar geeignet, das interessierte Publikum von einem Betreten des Sitzungssaals abzuhalten; der Grundsatz der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung ist dennoch nur verletzt, wenn der Ausschluss der Öffentlichkeit in Kenntnis oder in verschuldeter Unkenntnis des Gerichts geschieht (BFH, Beschluss v. 30.11.2009, I B 111/09, BFH/NV 2010 S. 1102 f.; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 61 Anm. 3).
Rz. 4
Wird eine Verhandlung oder Beweisaufnahme an einem anderen Ort als dem Sitzungssaal fortgesetzt, ist sicherzustellen, dass auch unbeteiligte Personen Ort und Zeit der Weiterverhandlung ohne besondere Schwierigkeiten erfahren können (BGH, Urteil v. 22.1.1981, 4 StR 97/80, DRiZ 1981 S. 193). Welche Anforderungen dabei zu stellen sind, hängt vom Einzelfall ab. Grudsätzlich ist es erforderlich, dass Ort und Zeit des neuen Verhandlungsorts in öffentlicher Sitzung verkündet und durch einen Hinweis am Gerichtssaal bekannt gemacht werden. Nur so ist sichergestellt, dass sich auch beliebige Zuhörer, die erst nach der Verkündung der Verlegung des Verhandlungsorts im Gerichtsgebäude erscheinen, über Ort und Zeit der Weiterverhandlung informieren können (vgl. BVerfG, Beschluss v. 10.10.2001, 2 BvR 1620/01, NJW 2002 S. 814; BAG, Beschluss v. 22.9.2016, 6 AZN 3...