Rz. 12
Sitz ist im wörtlichen Sinn nur die politische Gemeinde, in deren Bezirk die Verwaltungsstelle eingerichtet oder das Gericht errichtet ist (Zeihe, SGG, § 66 Rn. 11). Die zuständige Behörde oder das Gericht muss mit Namen und so genauer Anschrift bezeichnet werden, dass ein Zugang gesichert ist. Nicht unbedingt erforderlich ist die Angabe von Straße und Hausnummer, solange dadurch der Zugang nicht gefährdet ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 28.5.2008, L 3 KA 99/06; Zeihe, SGG, § 66 Rn. 11). Soweit die Auffassung vertreten wird, angesichts einer besonders schutzbedürftigen Klägerklientel der Sozialgerichtsbarkeit und wegen des fehlenden Vertretungszwanges sei es notwendig, die genaue Anschrift anzugeben, überzeugt das nicht. Die dem zugrundeliegenden Annahme, dass die Beteiligten im sozialgerichtlichen Verfahren oft schreibungewandt, unsicher und unbeholfen sind (Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 66 Anm. 3c), ist eine schlichte Fiktion und durch Nichts belegt.
Rz. 13
Eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der das anzurufende Gericht mit voller Anschrift angegeben wird, ist unrichtig erteilt, wenn die dort enthaltene Straßenbezeichnung nicht mehr zutrifft, da eine mit falscher Postanschrift des Gerichts versehene Klage die Gefahr in sich birgt, dass sie wegen einer damit verbundenen Verlängerung der Postlaufzeiten nicht mehr fristgerecht bei Gericht eingeht (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 28.5.2008, L 3 KA 99/06).
Rz. 14
Die Widerspruchsfrist beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte u. a. über die Verwaltungsstelle, bei der der Widerspruch anzubringen ist und deren Sitz belehrt worden ist; hierzu genügt die Bezugnahme der Behörde auf "die im Briefkopf genannte Stelle", wenn dort die Hausanschrift des Dienstgebäudes angegeben ist (LSG NRW, Beschluss v. 21.7.2010, L 7 AS 625/10 B; LSG NRW, Beschluss v. 22.10.2008, L 19 B 190/08 AS). Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Bezugnahme, dass der Widerspruch "bei der oben genannten Stelle" einzulegen sei, nicht eindeutig und zweifelsfrei zu erkennen gibt, welche Stelle im Sinne des § 36 SGB X gemeint ist, z. B. ARGE und Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit (LSG NRW, Beschluss v. 7.5.2007, L 7 B 58/07 AS).
Rz. 15
Nicht belehrt werden muss über besondere Möglichkeiten der Fristwahrung, wie sie in § 84 Abs. 2, § 91, § 151 Abs. 2, § 173 Satz. 2 SGG vorgesehen sind (BSG, Urteil v. 28.10.1975, 9 RV 452/74, SozR 1500 § 92 Nr. 2; Urteil v. 14.1.1958, 11/8 RV 97/57; Keller, SGG, § 66 Rn 7a). Die gegenläufige Auffassung (LSG NRW, Beschluss v. 22.1.2007, L 19 B 73/06 AS ER; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 66 Anm. 3b) überzeugt nicht. Hiernach soll der fehlende Hinweis auf die Möglichkeit, die Beschwerde auch beim LSG einlegen zu können (§ 173 Satz 2 SGG), zur Unvollständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung führen (so LSG NRW, Beschluss v. 22.1.2007, L 19 B 73/06 AS ER). Dem steht entgegen, dass ausweislich des Wortlautes des § 173 Satz 2 SGG, die Beschwerdefrist "auch" gewahrt ist, wenn die Beschwerde fristgerecht beim LSG eingelegt wird. Ein Hinweis auf "Auch-Möglichkeiten" ist nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil v. 25.1.1984, 9a RV 2/83, Breithaupt 1984 S. 911, 913; LSG Sachsen, Beschluss v. 3.3.2008, L 3 AL 140/06 NZB; vgl. oben Rz. 3). Soweit das LSG NRW seine abweichende Auffassung damit begründet, die Rechtsbehelfsbelehrung müsse dennoch auf beide Alternativen der Beschwerdeeinlegung hinweisen, weil die für die Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen entworfene Rechtsbehelfsbelehrung dies vorsehe, führt das nicht weiter. Der vom LSG herangezogene Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) trägt nicht. Die im Verwaltungsbereich unter Mitwirkung von Richtern entworfenen (einheitlichen) Rechtsbehelfsbelehrungen binden schlechterdings keinen Spruchrichter. Im Übrigen rechnet die Frage, welche Rechtsbehelfsbelehrung der jeweilige Richter als zutreffend ansieht, zum Regelungsbereich des Art. 97 GG. Demzufolge mag Art. 3 GG dann berührt sein, wenn der jeweilige Richter für gleichgelagerte Sachverhalte einmal die eine und einmal die andere Rechtsbehelfsbelehrung verwendet. Weichen indes Richter bewusst und zur vollen richterlichen Überzeugung von der "vorgegebenen" Rechtsbehelfsbelehrung ab, fällt dies schon im Ansatz her nicht unter den Schutzbereich des Art. 3 GG.
Rz. 16
Ein im Ausland lebender Adressat muss auch über die durch Sozialversicherungsabkommen eingeräumte Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs bei einem ausländischen Versicherungsträger belehrt werden.