Rz. 23
Fraglich ist, ob eine Rechtsbehelfsbelehrung auch ohne einen Hinweis auf die Möglichkeit, die Berufung mittels elektronischen Dokuments einzulegen (hierzu § 65a SGG), vollständig und richtig ist. Die Frage ist umstritten. Das LSG Hessen meint, nach dem Wortlaut des § 66 Abs. 1 sei es nicht notwendig, auch über die notwendige Form des anzubringenden Rechtsbehelfs zu belehren. Die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels mittels elektronischer Datenübermittlung unterliege besonderen Voraussetzungen und Umständen, auf die nicht gesondert hingewiesen werden müsse; nicht auf jede Möglichkeit, fristwahrend ein Rechtsmittel einzulegen, sei in der Rechtsmittelbelehrung hinzuweisen; so werde es grundsätzlich als ausreichend erachtet, wenn die Beteiligten auf den "Regelweg" hingewiesen werden. Der Hinweis auf sog. "Auch-Möglichkeiten" sei dagegen entbehrlich und gehöre nicht zu den zwingenden Formerfordernissen. Die Rechtsmittelbelehrung solle nur einen Hinweis geben, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen müsse. Dazu solle sie so einfach und klar wie möglich gehalten werden, auch für einen juristischen Laien verständlich bleiben und deshalb nicht mit komplizierten rechtlichen Hinweisen überfrachtet werden. Infolgedessen müsse sie nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen, sondern den Beteiligten nur in die richtige Richtung lenken (LSG Hessen, Urteil v. 20.6.2011, L 7 AL 87/10; so auch VG Neustadt/Weinstraße, Urteil v. 22.9.2011, 4 K 540/11.NW; VG Frankfurt/Main, Urteil v. 8.7.2011, 11 K 4808/10.F; SG Marburg, Urteil v. 15.6.2011, S 12 KA 295/10, hierzu Anm. von Braun, jurisPR-ITR 15/2011 Anm. 5; VG Berlin, Beschluss v. 20.5.2010, 12 L 253.10).
Rz. 24
Demgegenüber wird von anderen Gerichten die gegenläufige Auffassung vertreten. Nach OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss v. 2.2.2011, OVG 2 N 10.10) soll gelten: Ist die Belehrung dergestalt irreführend und damit unrichtig erfolgt, dass sie nach dem objektiven Empfängerhorizont geeignet ist, den Eindruck zu erwecken, dass der Zulassungsantrag nicht in elektronischer Form begründet werden kann, obwohl seit dem 1.1.2010 die Möglichkeit besteht, die Begründung bei dem erkennenden Gericht auch in elektronischer Form mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes einzureichen, muss die Begründung in diesem Fall innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erfolgen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 25.11.2010, L 5 AS 1773/10 B PKH; VG Trier, Urteil v. 22.9.2009, 1 K 365/09.TR; VG Neustadt/Weinstraße, Urteil v. 10.9.2010, 2 K 156/10.NW, NJW 2011 S. 1530).
Rz. 25
Letztgenannter Auffassung kann nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber versteht die durch 65a SGG ermöglichte "elektronische" Form als Unterfall der Schriftform (BT-Drs. 14/4987 S. 24; hierzu auch Skrobotz, jurisPR-ITR 24/2009 Anm. 5). Auch auf das Telegramm, das Fax und den Fernschreiber des Beschwerde- bzw. Berufungsgerichts muss nicht hingewiesen werden (so zutreffend: Skrobotz, jurisPR-ITR 7/2011 Anm. 6). Im Übrigen: Der Wegweiserfunktion wird eine Rechtsbehelfsbelehrung dann nicht mehr hinreichend gerecht, wenn sie umfangreiche und differenzierte Ausführungen dazu enthält, wie und unter welchen Voraussetzungen der Rechtsbehelf auch in elektronischer Form eingelegt werden kann. Seitenlange Darlegungen, die ggf. über den eigentlichen Entscheidungsinhalt hinausgehen, enthalten beträchtliches Gefährdungspotential dergestalt, dass die Rechtsbehelfsbelehrung infolge Unübersichtlichkeit die Frist des § 66 Abs. 2 in Gang setzt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung darf nicht durch weitere Informationen überfrachtet werden, die durch Umfang, Kompliziertheit, Hervorhebung des Unwichtigen u.ä. Verwirrung stiftet oder gar den Eindruck erweckt, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als dies in Wahrheit der Fall ist; bei derartigen Unklarheiten kann eine Gesamtwertung ergeben, dass die Rechtsbehelfsbelehrung als unrichtig anzusehen, möglicherweise für fristbezogene Irrtümer ursächlich und daher zum Ingangsetzen der Monatsfrist ungeeignet gewesen ist (BSG. Urteil v. 31.8.2000, B 3 P 18/99 R, USK 2000-67; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 58 Rn. 12 m. w. N.). Daher: Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut des § 357 Abs. 1 AO wiedergibt und die Informationen zu Beginn und Dauer der Rechtsmittelfrist enthält, ist ausreichend; einen Hinweis auf die etwaige Möglichkeit der Rechtsbehelfseinlegung per e-Mail braucht sie nicht zu enthalten (BFH, Beschluss v. 2.2.2010, III B 20/09, BFH/NV 2010 S. 830).