Rz. 6
Das Verschulden des gesetzlichen Vertreters oder des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (§ 73 Abs. 6 Satz 6 SGG i. V. m. §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 ZPO). Besondere Anforderungen werden an die persönliche Sorgfalt und die Büroorganisation von Rechtsanwälten gestellt. Sie sind verpflichtet, durch organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen (BSG, Beschluss v. 12.03.2002, B 11 AL 3/02 B, SozSich 2003 S. 400).
Rz. 7
Eine unmittelbare Zurechnung des Verschuldens von Hilfspersonen, also insbesondere von Büropersonal des Anwalts ist nach geltendem Recht nicht möglich, da es im Prozessrecht an einer dem § 278 BGB entsprechenden Regelung fehlt (LSG NRW, Beschluss v. 27.1.2010, L 19 B 29/09 AL; Keller, SGG, § 67 Rn. 8b m. w. N.; Müller, NJW 2000 S. 322, 327; Anmerkung: Soweit das BSG sich im Beschluss v. 8.10.2009, B 8 SO 35/09 B, auf § 278 BGB bezieht, um eine Zurechnung eines Fehlverhaltens zu begründen, ist dies ein rechtlich unzutreffender Ansatz).
Rz. 8
Der Anwalt muss durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Einhaltung von Fristen sicherstellen. Hierzu rechnet, dass er eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren, insbesondere einen Fristenkalender führen und dafür Sorge tragen muss, dass die Erledigung fristgebundener Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft wird. Dabei setzt eine wirksame Fristenkontrolle voraus, dass Fristen zur Einlegung und Begründung von Rechtsbehelfen deutlich als solche gekennzeichnet werden (LSG NRW, Beschluss v. 27.1.2010, L 19 B 29/09 AL). Er muss dafür Sorge tragen, dass ihm die Sache rechtzeitig vor Fristablauf vorgelegt wird. Voraussetzung hierfür ist das Führen eines Fristenkalenders, in dem nicht nur die Fristen selbst, sondern auch Vorfristen zur Bearbeitung notiert sein müssen (BSG, Beschluss v. 8.5.1996, 6 RKa 9/96, SozR 3-1500 § 67 Nr. 10). Auch der Postauslauf fristwahrender Schriftstücke ist in der Handakte und dem Fristenkalender zu vermerken (BSG, Beschluss v. 15.12.1997, 10 BLw 8/97, SozR 3-1500 § 67 Nr. 12).
Rz. 9
Fehler von Angestellten sind dem Anwalt im Rahmen des Organisationsverschuldens dann nicht zuzurechnen, wenn er die betroffene Aufgabe delegieren durfte und die mit der Aufgabe beauftragten Angestellten sorgfältig ausgewählt, angeleitet und überwacht hat (BSG, Beschluss v. 21.12.1981, 5a RKn 8/81, SozR 1500 § 67 Nr. 16; vgl. auch BSG, Beschluss v. 28.12.1999, B 6 KA 18/99 R, SozR 3-1500 § 67 Nr. 15: Revisionsbegründungsfrist ist keine Routinefrist und muss vom Anwalt selbst überwacht werden; ebenso für die Revisionsfrist: BSG, Beschluss v. 7.7.1999, B 3 P 4/99 R, SozR 3-1500 § 67 Nr. 13). Die Einzelanweisung des Rechtsanwalts an seine Büroangestellte muss die unmissverständliche Anordnung enthalten, den Vorgang sogleich auszuführen. Fehlt es daran, müssen ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, damit die mündliche Einzelanweisung nicht in Vergessenheit gerät und dadurch die Fristeintragung unterbleibt. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschluss v. 5.11.2002, VI ZR 399/01, NJW 2003 S. 435; BGH, Beschluss v. 4.11.2003, VI ZB 50/03, NJW 2004 S. 688; BGH, Beschluss v. 15.11.2007, IX ZB 219/06, NJW 2008 S. 526). Ist die mit dieser Aufgabe betraute Person nicht hinreichend qualifiziert oder besteht Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit, trifft den Rechtsanwalt ein Auswahl- oder Organisationsverschulden. Die Notierung und Überwachung von Fristen gehört zu den Tätigkeiten, die ein Anwalt einem hierzu befähigten Angestellten überlassen kann (LSG NRW, Beschluss v. 27.1.2010, L 19 B 29/09 AL). Für die Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax muss der Rechtsanwalt seinen Mitarbeitern die allgemeine Weisung erteilen, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang auszudrucken und diesen zu prüfen. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (vgl. BGH, Beschluss v. 18.7.2007, XII ZB 32/07, NJW 2007 S. 2778; BAG, Urteil v. 19.7.2007, 6 AZR 432/06, NJW 2007 S. 3021; BSG, Beschluss v. 12.03.2002, B 11 AL 3/02 B, SozSich 2003 S. 400).
Rz. 10
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet aus, wenn der Prozessbevollmächtigte durch seine Büroorganisation nicht sichergestellt hat, dass eine an einem Sonnabend eingehende Sendung auch den Eingangsstempel dieses Sonnabends und nicht den des darauf folgenden Werktags erhält (BSG, Urteil v. 27.5.2008, B 2 U 5/07 R, SozR 4-1500 § 67 Nr. 7, hierzu Keller, jurisPR-SozR 1/2009 Anm. 6).
Rz. 11
Der Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftstücke auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer gewährleistet. Dazu muss bei der erforderlichen Ausgangskontrolle i. d. R. ein Sendebericht ausgedruckt und auch die Richtigkeit der verwendeten Empfä...