4.1 Schriftformerfordernis und Begründungspflicht

 

Rz. 11

Im Widerspruchsverfahren gelten die Verfahrensgrundsätze des SGB X. Das Verfahren wird beendet durch den Erlass des Widerspruchsbescheides. Er ist schriftlich zu erlassen, zu begründen und bekannt zu geben, § 85 Abs. 3 Satz 1. Durch das Schriftformerfordernis soll sichergestellt werden, dass die wiedergegebene Entscheidung tatsächlich der Beschlussfassung entspricht und dafür im Wesentlichen die mitgeteilten Gründe maßgeblich sind (BSG, SozR 1500 § 85 Nr. 5). Sie ist insofern in engem Zusammenhang mit der Verpflichtung zur Begründung des Widerspruchsbescheides zu sehen. Wird der Widerspruchsbescheid nicht von allen oder mindestens einem der an der konkreten Entscheidung beteiligten Mitglieder der Widerspruchsstelle unterschrieben, lässt der Bescheid nicht mit der notwendigen Klarheit und Bestimmtheit erkennen, dass es sich um die tragenden Gründe handelt, die das zuständige Kollegium zur Willensbildung und Beschlussfassung bestimmt haben (BSG, SozR 1500 § 85 Nr. 5, 7). Die Begründung muss stets erkennen lassen, auf welche Tatsachen und rechtlichen Überlegungen sich die Behörde stützt. Eine Ermessensentscheidung, die keine hinreichende Auseinandersetzung mit den Umständen des Einzelfalls erkennen lässt, ist unzureichend (vgl. Zeihe, § 85 Rn. 7a). Ein Verstoß gegen § 85 Abs. 3 stellt allerdings keinen besonders schwerwiegenden, zur Nichtigkeit führenden Fehler i. S. d. § 40 Abs. 1 SGB X dar (vgl. BSGE 75 S. 241, 244; BSG, SozR 1500 § 85 Nr. 5). Der Widerspruchsbescheid kann gemäß § 42 SGB X nicht wegen des Formfehlers aufgehoben werden, wenn offensichtlich ist, dass er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die Begründung kann, auch durch Vortrag im gerichtlichen Verfahren, nachgeholt werden, § 41 Abs. 2 SGB X. Fehlt es hingegen an einem Widerspruchsbescheid, kann ein solcher in aller Regel nicht in der Klageerwiderung gesehen werden (vgl. BSG, SozR 3-5540 Anl. 1 § 10 Nr. 1).

4.2 Rechtsbehelfsbelehrung

 

Rz. 12

Zum notwendigen Inhalt des Widerspruchsbescheides gehört auch die Rechtsbehelfsbelehrung nach § 66, die die einzuhaltende Frist und das zuständige Sozialgericht anzugeben hat (vgl. BSGE 69 S. 9). Erfolgt die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides mit einfachem Brief, so ist der Empfänger über den Rechtsbehelf hinreichend mit dem Hinweis belehrt, dass die Klage innerhalb eines Monats "nach seiner Bekanntgabe" zu erheben ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 25.10.2010, L 2 R 556/10 B, juris). Eine Rechtsbehelfsbelehrung hat auch zu erfolgen, wenn dem Widerspruch stattgegeben wird. Ob und in welchem Umfang noch eine Beschwer besteht, ist ggf. in einem gerichtlichen Verfahren zu klären (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 85 Rn. 7d).

4.3 Bekanntgabe

 

Rz. 13

Der Widerspruchsbescheid ist den Beteiligten bekannt zu geben, § 37 SGB X. Dies kann etwa die Übersendung eines einfachen Briefes, aber auch eine elektronische Übermittlung sein (vgl. Zeihe, § 85 Rn. 8b: Umkehrschluss aus § 65a). Nach dem durch das 6. SGGÄndG eingefügten Satz 2 des § 85 Abs. 3 gelten die §§ 2 bis 15 VwZG, wenn die Behörde eine Zustellung vornimmt. Dann muss auch die Rechtsbehelfsbelehrung für den Beginn des Fristlaufs auf den Zeitpunkt der Zustellung abstellen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 25.10.2010, L 2 R 556/10 B, juris ). Die Behörde trifft die materielle Beweislast für den Zugang. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutungsregel des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X sind kritisch zu prüfen. Die Behörde muss zumindest dartun, dass durch klar strukturierte Verwaltungsabläufe mit dem "Ab-Vermerk" sicher gestellt ist, dass der Verwaltungsakt noch am gleichen Tag zur Post gelangt. Kann der genaue Zeitpunkt der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides und damit der Beginn des Laufs der Klagefrist nach § 87 Abs. 1 nicht festgestellt werden, ist die Klage im Zweifel als rechtzeitig anzusehen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 88 Rn. 8). Liegt eine schriftliche Vollmacht vor, kann nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten vorgenommen werden. Eine Bekanntgabe an den Bevollmächtigten ist aber nicht zwingend. Abweichend von § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X und § 7 Abs. 1 VwZG ist eine Bekanntgabe an den Adressaten selbst möglich. Informiert der Adressat seinen Bevollmächtigten nicht über die Bekanntgabe und erhebt Letzterer weisungsgemäß Untätigkeitsklage, so kann trotz der Unzulässigkeit der Klage im Einzelfall ein Teil der notwendigen außergerichtlichen Kosten unter Veranlassungsgesichtspunkten der Beklagten auferlegt werden. Dies ist z. B. denkbar, wenn die Beklagte eine nach Bescheiderteilung, aber vor Klageerhebung erfolgte Sachstandsanfrage des Bevollmächtigten unbeantwortet gelassen hat (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss v. 13.7.2007, L 20 B 16/07 AS, juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 11.3.2009, L 28 B 1370/08 AS, juris). Wählt die Behörde aber den Weg der Zustellung, so ist an den Bevollmächtigten zuzustellen. § 85 Abs. 3 Satz 3 stellt sicher, dass auch an die in § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 9 genannten Bevollmächtigte...

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