2.2.5.1 Einführung

 

Rz. 63

In den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 5 haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Es ist ein öffentliches Vollzugsinteresse oder ein überwiegendes Interesse eines Beteiligten erforderlich. Nur dann wird (ausnahmsweise) die sofortige Vollziehung angeordnet. Das Gericht hat insbesondere zu berücksichtigen, wie schwerwiegend die Beeinträchtigung durch die aufschiebende Wirkung gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist. Nach § 86a Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 entscheidet die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat (zu den Besonderheiten im Vertragsarztrecht vgl. Zeihe, SGG, § 86a Rn. 22b, 26b), im Einzelfall darüber, ob die aufschiebende Wirkung entfallen soll. Dabei geht es um Verwaltungsakte, bei denen die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage nicht schon aufgrund § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 3 oder aufgrund von Sonderregelungen in anderen Gesetzen eintritt. Auf eine detaillierte Aufstellung der denkbaren Fälle wurde bewusst verzichtet. Eine § 80 Abs. 1 Nr. 1 VwGO entsprechende gesonderte gesetzliche Regelung zur Drittbetroffenheit fehlt. Die Vollzugsanordnung muss formell und materiell rechtmäßig sein (vgl. LSG Bayern, Beschluss v. 1.9.2010, L 8 SO 106/10 B ER).

 

Rz. 64

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist kein Verwaltungsakt, sondern ein unselbständiger Annex (vgl. LSG NRW, Beschluss 3.5.2010, L 11 B 23/09 KA ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 30.9.2002, L 4 KR 122/02 ER, NZS 2003 S. 333; vgl. Rz. 65, 70).

2.2.5.2 Formelle Rechtmäßigkeit

 

Rz. 65

Schriftform ist nicht vorgeschrieben, indessen wegen § 86a Abs. 2 Nr. 5 ("schriftliche Begründung") letztlich obligatorisch. Die Anordnung muss ausdrücklich erfolgen, eine konkludente Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist nicht zulässig (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 135; vgl. aber LSG NRW, Beschluss v. 6.1.2004, L 11 B 17/03 KA ER, Breithaupt 2004 S. 263: Das Nachholen der Begründung jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsbescheides kommt in der Regel der konkludenten erneuten Anordnung der sofortigen Vollziehung gleich; vgl. Rz. 72). Die Vollzugsanordnung wird i. d. R. mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden, kann aber auch gesondert – ggf. später – ergehen. Sie kann vom Begünstigten jederzeit beantragt werden, und zwar zugleich mit dem Antrag auf Erlass des Verwaltungsaktes oder auch später; sie kann aber auch im behördlichen Verfahren von Amts wegen ausgesprochen werden (Clemens, S. 332). Auch die Vollzugsanordnung im privaten Interesse eines Beteiligten kann von Amts wegen erfolgen, denn anders als zu § 80a 1 Nr. 1 VwGO verlangt § 86a Abs. 2 Nr. 5 auch für die Fallkonstellation seiner 2. Alternative keinen Antrag des Beteiligten (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 135). Einer Rechtsbehelfsbelehrung bedarf es nicht, denn die Vollzugsanordnung stellt keinen Verwaltungsakt dar (vgl. Rz. 64 und Rz. 70).

 

Rz. 66

Die Vollziehungsanordnung kann sich nur auf Verwaltungsakte, nicht aber auf bloße Gestaltungserklärungen beziehen (LSG Hessen, Beschluss v. 9.9.2011, L 9 SO 199/11 B ER). Ausgeschlossen ist die behördliche Vollziehungsanordnung, wenn das Gericht die aufschiebende Wirkung angeordnet hat (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Da auch ein unzulässige Rechtsbehelf

aufschiebende Wirkung hat (vgl. Rz. 24, 25), kann die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit anordnen, um die eingetretene aufschiebende Wirkung zu beseitigen. Lediglich im Fall der offensichtlichen Unzulässigkeit hat die Vollziehungsanordnung nur deklaratorische Bedeutung, da dann kein Suspensiveffekt eingetreten ist (vgl. Rz. 24, 25).

 

Rz. 67

Zuständig ist die Ausgangs- oder die Widerspruchsbehörde. Die Ausgangsbehörde ist vor, während und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens, also auch während des Klageverfahrens (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 6.2.2006, L 13 AL 4566/05 ER-B), für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit zuständig (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 138; Keller, SGG, § 86a Rn. 21). Die Widerspruchsbehörde ist in diesem Zeitraum neben der Ausgangsbehörde ab dem Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zuständig (Krodel, a. a. O., str.; Clemens, S. 331).

 

Rz. 68

Der Zulassungsausschuss ist nicht berechtigt, die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung über die Entziehung einer Zulassung anzuordnen. Die Bestimmung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 geht – auch als jüngere Norm – den Regelungen der §§ 96, 97 Abs. 4 SGB V nicht vor, denn diese sind als Spezialvorschriften anzusehen (LSG Bayern, Beschluss v. 22.8.2008, L 12 B 650/07 KA ER, MedR 2009 S. 565; vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 25.10.2006, L 10 B 15/06 KA ER; Frehse, in: Schnapp/Wigge, § 23 Rn. 110; Keller, SGG, § 86a Rn. 23; Adolf, in: Henning, SGG, § 86a Rn. 55; a. A. Clemens, S. 339 f.; Schiller, MedR 2009 S. 566).

 

Rz. 69

Fraglich ist, ob der Behörde spätestens nach Anhängigkeit der Klage die Befugnis entzogen ist, die vorläufige Vollziehbarkeit des Bescheids anzuordnen (so LSG Sachsen, Beschluss v. 26.2.2004, L 3 B 18/04 AL-ER; Wehrhahn, in: B...

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