Rz. 65
Schriftform ist nicht vorgeschrieben, indessen wegen § 86a Abs. 2 Nr. 5 ("schriftliche Begründung") letztlich obligatorisch. Die Anordnung muss ausdrücklich erfolgen, eine konkludente Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist nicht zulässig (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 135; vgl. aber LSG NRW, Beschluss v. 6.1.2004, L 11 B 17/03 KA ER, Breithaupt 2004 S. 263: Das Nachholen der Begründung jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsbescheides kommt in der Regel der konkludenten erneuten Anordnung der sofortigen Vollziehung gleich; vgl. Rz. 72). Die Vollzugsanordnung wird i. d. R. mit dem zugrunde liegenden Verwaltungsakt verbunden, kann aber auch gesondert – ggf. später – ergehen. Sie kann vom Begünstigten jederzeit beantragt werden, und zwar zugleich mit dem Antrag auf Erlass des Verwaltungsaktes oder auch später; sie kann aber auch im behördlichen Verfahren von Amts wegen ausgesprochen werden (Clemens, S. 332). Auch die Vollzugsanordnung im privaten Interesse eines Beteiligten kann von Amts wegen erfolgen, denn anders als zu § 80a 1 Nr. 1 VwGO verlangt § 86a Abs. 2 Nr. 5 auch für die Fallkonstellation seiner 2. Alternative keinen Antrag des Beteiligten (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 135). Einer Rechtsbehelfsbelehrung bedarf es nicht, denn die Vollzugsanordnung stellt keinen Verwaltungsakt dar (vgl. Rz. 64 und Rz. 70).
Rz. 66
Die Vollziehungsanordnung kann sich nur auf Verwaltungsakte, nicht aber auf bloße Gestaltungserklärungen beziehen (LSG Hessen, Beschluss v. 9.9.2011, L 9 SO 199/11 B ER). Ausgeschlossen ist die behördliche Vollziehungsanordnung, wenn das Gericht die aufschiebende Wirkung angeordnet hat (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Da auch ein unzulässige Rechtsbehelf
aufschiebende Wirkung hat (vgl. Rz. 24, 25), kann die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit anordnen, um die eingetretene aufschiebende Wirkung zu beseitigen. Lediglich im Fall der offensichtlichen Unzulässigkeit hat die Vollziehungsanordnung nur deklaratorische Bedeutung, da dann kein Suspensiveffekt eingetreten ist (vgl. Rz. 24, 25).
Rz. 67
Zuständig ist die Ausgangs- oder die Widerspruchsbehörde. Die Ausgangsbehörde ist vor, während und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens, also auch während des Klageverfahrens (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 6.2.2006, L 13 AL 4566/05 ER-B), für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit zuständig (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 138; Keller, SGG, § 86a Rn. 21). Die Widerspruchsbehörde ist in diesem Zeitraum neben der Ausgangsbehörde ab dem Zeitpunkt der Einlegung des Widerspruchs bis zur Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids zuständig (Krodel, a. a. O., str.; Clemens, S. 331).
Rz. 68
Der Zulassungsausschuss ist nicht berechtigt, die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung über die Entziehung einer Zulassung anzuordnen. Die Bestimmung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 geht – auch als jüngere Norm – den Regelungen der §§ 96, 97 Abs. 4 SGB V nicht vor, denn diese sind als Spezialvorschriften anzusehen (LSG Bayern, Beschluss v. 22.8.2008, L 12 B 650/07 KA ER, MedR 2009 S. 565; vgl. auch LSG NRW, Beschluss v. 25.10.2006, L 10 B 15/06 KA ER; Frehse, in: Schnapp/Wigge, § 23 Rn. 110; Keller, SGG, § 86a Rn. 23; Adolf, in: Henning, SGG, § 86a Rn. 55; a. A. Clemens, S. 339 f.; Schiller, MedR 2009 S. 566).
Rz. 69
Fraglich ist, ob der Behörde spätestens nach Anhängigkeit der Klage die Befugnis entzogen ist, die vorläufige Vollziehbarkeit des Bescheids anzuordnen (so LSG Sachsen, Beschluss v. 26.2.2004, L 3 B 18/04 AL-ER; Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 86a Rn. 34) oder ob die Zuständigkeiten von Behörde und Gericht bis zur gerichtlichen Entscheidung kumulativ nebeneinander stehen (so LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 6.2.2006, L 13 AL 4566/05 ER-B; Keller, SGG, § 86a Rn. 21; Krodel, Eilverfahren, B Rn. 138). Für das Fortbestehen der Anordnungsbefugnis der Behörde auch nach der gerichtlichen Anfechtung des Bescheids spricht, dass das schnelle Reagieren auf geänderte Umstände eine originär exekutive Aufgaben ist, deren Wahrnehmung die Gerichte schon aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen der Verwaltung nicht abnehmen können. Zudem hat die Behörde in Drittanfechtungsfällen einen Interessenausgleich zwischen mehreren Beteiligten zu treffen und entscheidet nicht lediglich in eigener Sache über die Durchsetzung der von ihr vertretenen öffentlichen Interessen gegen ihren Gegner im Hauptsacheverfahren (so zutreffend mit weiteren Argumenten: LSG Sachsen, Beschluss v. 3.6.2010, L 1 KR 94/10 B ER, KHR 2010 S. 91; LSG NRW, Beschluss v. 10.11.2010, L 11 KA 87/10 B ER; Keller, SGG, § 86a Rn. 21).
Rz. 70
Ob vor Erlass der Vollzugsanordnung eine Anhörung erfolgen muss, hängt davon ab, ob die Anordnung einen gesonderten Verwaltungsakt darstellt und ob § 24 SGB X direkt oder analog anzuwenden ist. Nach h. M. ist die Anordnung kein selbständiger Verwaltungsakt, sondern eine unselbständige Nebenentscheidung und eine gesonderte Anhörung nicht erforderlich (Adolf, in: Hennig, SGG, § 86a Rn. 34 m. w. N.; Krodel, Eilverfahren, B Rn. 133...