2.1.1.3.1 Einführung

 

Rz. 29

Es sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden. Einerseits geht es um die sofortige Vollziehbarkeit nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG, andererseits um die Fälle, bei denen eine behördliche Vollziehungsanordnung gem. Abs. 2 Nr. 5 vorausgegangen ist. In den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGG trifft das Gericht nach § 86b Abs. 1 Satz 1 eine eigene originäre Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach grundsätzlich denselben Gesichtspunkten wie die Ausgangs- bzw. Widerspruchsbehörde. Liegt hingegen eine Vollziehungsanordnung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG vor, ist zunächst die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Vollziehungsanordnung zu überprüfen und bei einem entsprechendem Mangel die aufschiebenden Wirkung wiederherzustellen (vgl. hierzu LSG NRW, Beschluss v. 4.5.2011, L 11 KA 120/10 B ER). In diesem Fall hat das Gericht erst dann eine eigene originäre Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu treffen, wenn die Nachprüfung der Vollziehungsanordnung keine formellen und/oder materiellen Fehler der Vollziehungsanordnung aufzeigt.

2.1.1.3.2 Maßgeblicher Zeitpunkt

 

Rz. 30

Maßgeblich für die Wiederherstellung wie auch Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist die sich im Zeitpunkt der Entscheidung darbietende Sach- und Rechtslage (VGH Hessen, Beschluss v. 26.7.1994, 4 TH 1779/93, NVwZ 1995 S. 922). Dies gilt auch soweit es um die Einschätzung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens geht, denn angesichts der Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes zum Hauptsacheverfahren kann allein maßgebend sein, ob der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung den Kläger in seinen Rechten verletzt (LSG NRW, Beschluss v. 6.1.2004, L 11 B 17/03 KA ER, NZS 2004 S. 672; OVG Berlin, Beschluss v. 5.6.2001, 1 SN 38.01, NvwZ-RR 2001 S. 611; vgl. auch Keller, SGG, § 86b Rn. 18). Hiervon zu trennen ist die sich nach materiellem Recht zu bemessende Frage, ob und inwieweit sich nach dem Erlass des Verwaltungsaktes bzw. dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens ergebende Veränderungen noch dessen Rechtmäßigkeit in dem für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt beeinflussen können und damit wegen der Akzessorietät des vorläufigen Rechtsschutzes auch für die gerichtliche Entscheidung bedeutsam werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 147). Nur soweit eine nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eintretende Veränderung der Sach- oder Rechtslage noch für die im Hauptsacheverfahrens zu überprüfende Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes relevant wird, kann sie für den vorläufigen Rechtsschutz nach § 86b Bedeutung erlangen (vgl. VGH Bayern, Beschluss v. 14.12.1994, 11 AS 94.3847, NZV 1995 S. 167 zu § 80 VwGO; LSG NRW, Beschluss v. 23.12.2010, L 11 KA 71/10 B ER, zum Nachschieben von Gründen betreffend den Verwaltungsakt).

2.1.1.3.3 Behördliche Vollziehungsanordnung nach § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5

 

Rz. 31

Soweit sich der Antrag gegen die behördliche Vollziehungsanordnung (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG) oder die Aussetzung der Vollziehungsanordnung durch die Behörde (§ 86a Abs. 3 SGG) wendet, ist zusätzlich die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Vollzugs- bzw. der Aussetzungsanordnung zu prüfen (s. oben Rz 29). Diese stellt einen unselbständigen Annex zum Verwaltungsakt dar und ist ihrerseits nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren (Adolf, in Hennig, SGG, § 86b Rn. 26; Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 78 m. w. N.; vgl. Kommentierung zu § 86a Rz. 64). Weist die Vollziehungsanordnung formelle oder materielle Fehler auf, so gibt das Gericht schon aus diesem Grund dem Antrag ohne weitere Sachprüfung statt. Praktisch häufig sind die Fälle der fehlenden oder unzureichenden Begründung der Vollzugsanordnung mangels Darlegung des "besonderen Interesses" nach § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGG (hierzu z. B. LSG NRW, Beschluss v. 4.5.2011, L 11 KA 120/10 B ER; Beschluss v. 23.3.2011, L 11 KA 97/10 B ER, L 11 KA 22/11 B ER, GuP 2011 S. 111), was von einer unzureichenden Begründung des originären Verwaltungsaktes zu unterscheiden ist (hierzu LSG NRW, Beschluss v. 23.12.2010, L 11 KA 71/10 B ER). Hat die Behörde das "besondere Interesse" nicht oder nur unzureichend dargelegt, ist allein deswegen die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (LSG NRW, Beschluss v. 3.5.2010, L 11 B 23/09 KA ER). Die fehlende oder unzureichende Begründung des Vollziehungsanordnung kann nicht nachgeholt werden (vgl. Kommentierung zu § 86a Rz. 71 f.; LSG NRW, Beschluss v. 16.3.2011, L 11 KA 96/10 B ER, MedR 2011 S. 428 m. w. N.; hierzu auch Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 149 m. w. N. auf die gegenläufige Meinung).

 

Rz. 32

Relevant sind nur die von der Behörde schriftlich in der Vollziehungsanordnung niedergelegten Gründe (LSG NRW, Beschluss v. 23.12.2010, L 11 KA 95/10 B ER; Beschluss v. 29.10.2010, L 11 KA 64/10 B ER; OLG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 19.6.1991, 4 M 43/91). Wiegt im Verhältnis zu diesen Darlegungen das Interesse des Antragstellers an der Suspendierung des Verwaltungsaktes höher, so ist die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (Kopp/Schenke, VwGO, § 80 Rn. 149). Dasselbe ist selbst dann an...

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