Rz. 34

Die Vorschrift nennt keine Voraussetzungen für den Erfolg des Eilantrags. Fraglich ist mithin, welcher Maßstab für die die richterliche Eilentscheidung entscheidend ist (Krodel, Eilverfahren, B Rn. 185). Es stehen sich als Auffassungen gegenüber:

  1. Der Regelung des § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 SGG ist ein Regel-/Ausnahmeverhältnis zugunsten des Suspensiveffekts zu entnehmen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst einmal angeordnet hat (LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 30.5.2005, L 5 ER 17/05 KA, GesR 2005 S. 419; Keller, SGG, § 86b Rn. 12c). Bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Gericht eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, die Wirkung des angefochtenen Bescheides (zunächst) zu unterbinden (Aussetzungsinteresse), mit dem Vollzugsinteresse des Antragsgegners vorzunehmen. Dabei besteht ein Regel-/Ausnahmeverhältnis. Dabei überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen, wenn das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse überwiegt. Dies ist der Fall, wenn mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes spricht (LSG NRW, Beschluss v. 22.8.2011, L 19 AS 1299/11 B ER). So auch für die VwGO: Schließt der Gesetzgeber auf der Grundlage des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage aus, schlägt das Vollzugsinteresse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes bei offenem Prozessausgang in der dann gebotenen Interessenabwägung mit erheblichem Gewicht zu Buche; das bedeutet aber nicht, dass sich dieses Interesse gegenüber dem Aufschubinteresse regelhaft durchsetzt (BVerwG, Beschluss v. 14.4.2005, 4 VR 1005/04, NVwZ 2005 S. 689).
  2. Das Gericht soll aufgrund einer offenen Abwägung entscheiden (LSG Sachsen, Beschluss v. 3.6.2010, L 1 KR 94/10 B ER; LSG NRW, Beschluss v. 8.7.2009, L 19 B 140/09 AS ER; LSG Bayern, Beschluss v. 14.5.2009, L 8 AS 215/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg vom 27.4.2009, L 23 SO 58/09 B ER, L 23 SO 59/09 B PKH, Rn. 18; LSG Nordrhein-Westfalen v. 2.4.2009, L 11 KA 2/09 ER; weitere Nachweise bei Krodel, a. a. O., B Rn. 186).
  3. Das Gericht soll § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG analog anwenden (zB LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 16.4.2008, L 7 AS 1398/08 ER-B; Beschluss v. 20.10.2003, L 13 AL 3445/03 ER-B; LSG Thüringen, Beschluss v. 14.8.2006, L 7 AS 772/05 ER).
  4. Teils wird darauf verwiesen, dass auf die zu § 86b entwickelten Kriterien zurückgegriffen werden kann (Frehse, a. a. O., § 21 Rn. 116).
  5. Schließlich werden vermittelnde Auffassungen vertreten (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 16.4.2008, L 7 AS 1398/08 ER-B juris) oder die Prüfungsmaßstäbe verquickt (z. B. LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 15.11.2010, L 5 KR 201/10 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 29.7.2010, L 11 R 2595/10 ER-B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 15.1.2003, L 3 KA 308/02 ER, Breithaupt 2003 S. 265).
 

Rz. 35

Die Lösungsansätze führen zu unterschiedlichen Ergebnissen (Krodel, a. a. O., B Rn. 186). Im Fall einer offenen Abwägung (Buchst. a und b) sollen die öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts und die privaten Interessen an der Vollzugsaussetzung gegeneinander abgewogen werden (vgl. Keller, SGG, § 86b Rn. 12c). Offen bleibt, was und wie genau abzuwägen ist (Krodel, a. a. O.). Die analoge Anwendung des § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG hingegen würde einerseits bedeuten, dass die Mindestwahrscheinlichkeit eines Hauptsacheerfolgs in der Gestalt der ernstlichen Rechtmäßigkeitszweifel bezüglich des fraglichen Verwaltungsakts zugrunde zulegen ist und andererseits eine gesetzliche Vermutung für die Eilbedürftigkeit bedeuten, da bei der geforderten Rechtswidrigkeitswahrscheinlichkeit – von atypischen Fällen (unbillige Härte) abgesehen – die Rechtsfolge der Aussetzung der Vollziehbarkeit vorgesehen ist, ohne dass noch geprüft werden müsste, ob im Interimszeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung Beeinträchtigungen drohen, also Eilbedürftigkeit vorliegt (Krodel, a. a. O.). Die Lösung zu d) nähert sich der Auffassung an, die § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG analog heranzieht, der an das Vorliegen einer unbilligen Härte oder in der anderen Tatbestands­alternative an die prospektive Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ("ernstliche Zweifel") anknüpft und insofern als materiell akzessorisch bezeichnet werden kann (hierzu Krodel, a. a. O.).

 

Rz. 36

Die Auffassung zu c) überzeugt nicht. Der Gesetzgeber hat in § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG spezielle Kriterien für die Fälle des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG aufgestellt und den Besonderheiten der Anforderungen von Beiträgen usw. Rechnung getragen (vgl. hierzu Kommentierung zu § 86a Rz. 92). Diese Ausnahmekonstellation kann nicht verallgemeinert werden und steht damit einer Übertragung auf Fälle des § 86a Abs. 2 Nr. 2 bis 4 SGG entgegen (zutreffend Keller, § 86b Rn. 12c). Soweit es die Auffassungen zu a), b), d) und e) anlangt, können die insoweit als maßgebend erachteten Kriterien jeweils herangezogen werd...

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